Donnerstag, 16. November 2017

Internationales Copyright 1794/95...wie bitte?

Wer mit meinen Beiträgen der letzten Jahre vertraut ist, der weiß um meine Begeisterung für die damals weit verbeiteten Journale, allen voran das Journal des Luxus und der Moden in Weimar. In der Tat empfinde ich das Stöbern in den Ausgaben so aufregend wie ein Thriller auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten. Mit diesem Wissen mag es nicht verwundern, dass ich in den letzten Wochen recht häufig dem Geruch alter Bücher und dem fahlen Licht des Bildschirms ausgesetzt war.
Seit meinen Aufsätzen "Abgekupfert - the tale of two cities" und "London 1793 - When the pad went fad (oder: Wie das Schwangerschaftspolster zum Geburtshelfer der hohen Taille wurde" ließ mich das Thema der Verbreitung von Modeneuigkeiten quer durch Europa nicht mehr los.
Nach meiner langen Abwesenheit möchte ich meine werten Leser also heute höflich darum bitten, sich ein wenig Zeit zu nehmen (und vielleicht eine Tasse Tee), um meinem neuen Aufsatz zu folgen, der in Helmina von Chezys Gedenken nichtakademisch gehalten ist...oder wie es Johann Wolfgang von Goethe - keinesfalls herabwertend - als dilettierend bezeichnet hätte.
Those, who know my articles from the past few years, are familiar with my enthusiasm for the fashionable journals, first and foremost the Weimarian Journal des Luxus und der Moden. Actually I feel leafing through these publications is as exciting as the latest thriller on the bestseller list.
Knowing my preferences, it might not be a surprise that I surrounded myself with the smell of old books and the dim light of the laptop screen in the past weeks. Ever since I published the articles "Abgekupfert - the tale of two cities" and "London 1793 - When the pad went fad (oder: Wie das Schwangerschaftspolster zum Geburtshelfer der hohen Taille wurde" I was hooked by the idea how fashion was spread back then.
After a long abscence, I'd kindly ask my dear reader to be prepared for a long read (have a cup of tea while following me), which will be according to Helmina von Chezy a non academic article.

Auf der Suche nach Quellen für das sogenannte Schwangerschaftspolster, führten mich die ausgelegten Spuren der damaligen Journalisten von England über die Niederlande bis nach Deutschland. Während sich das Journal des Luxus und der Moden im Jahr 1793 noch naserümpfend über die englischen Einflüsse zeigte, änderten sie bald ihre Meinung und im Dezember 1794 beugt sich Bertuchs Publikation dem Modewunsch.
On my search for further sources about the famous pad, the traces of the period journalists led me from England to the Netherlands to Germany. While the Journal des Luxus und der Moden was quite sniffish on that particular fashion in 1793, they gradually changed their mind and eventually Bertuch published a much more moderate article on english fashion and influence.
1794, Dezember, Journal des Luxus und der Moden, Weimar (Quelle/source: Heinrich Heine Universität, Düsseldorf)
Transkription:
[...]Sie haben mehrmals in ihrem Journale Deutschland für der Angolmanie gewarnet, und ziemlich sicher vorausgesagt, dass unsere reiche, luxuriöse und genießende Welt von der Französischen auf die Englische Modesucht übergehen, und sich mit heißem Durste in dies Meer stürzen werde. Ihre Prophezeiung scheint zum Teil schon richtig erfüllt zu sein, zum Theil es noch zu werden; denn es ist unverkennbar das Anglomanie in allem, was sich auf Luxus, Wohlleben und Genuss bezieht, mehr als jemals bei uns allgemein wird. Sammeln sie selbst nur einige Züge davon. Unsere Damen tragen jetzt Englische kurze Taillen (und verunstalten damit ihren schönen schlanken Wuchs);[...]
Translation:
[...]You've warned Germany in your publication about the anglomania several times before, and forcasted that our wealthy, luxurious and joyful world would change from the French to the English fashion addiction, and drown with deep desire into the sea of fashion. Your prophecy already seems to be fulfilled in some part, and still is in progress: it is unmistakable that the anglomania is into everything about luxury, good living and pleasure, and that it became common. See how far it has influenced us. Our ladies wear the short waists (and disfigure their beautiful slim body);[...]

Gewisse Spitzen konnte man sich in Weimar gegen die neue Englische Mode nicht verkneifen und versuchte immer noch die kurzen Taillen in den Modekupfern zugunsten der altbewährten Form zu meiden, aber in Berlin dachte man darüber scheinbar anders, denn bei meiner Suche stolperte ich über eine ungewöhnliche Publikation aus dem preussischen Berlin, die sicherlich nicht nur mich fasziniert, sondern auch Luise von Mecklenburg-Strelitz Modegeschmack widerspiegelte. Seit dem Jahr 1793 war sie Königin von Preußen und wohlmöglich kam ihr die Englische Mode da gerade recht, denn im Oktober brachte sie nach einer Todgeburt im Jahr 1794, den Thronfolger zur Welt. Es existieren einige Portraits von Friedrich Georg Weitsch (1758 - 1828) zwischen 1793 und 1795, welche die Königin in der kurzen Taille zeigen.
 Folgende Anzeige erschien im Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode im Jahr 1795 bei Voss & Comp. in Leipzig:
Certain snarky remarks remained common in Weimar about the new English Fashion and we still see only very few short waists in the fashion plates, but things seemed totall different in Berlin, because on my search I stumbled upon an unusual publication from prussian Berlin, which probably not only fascinates me, but might also display Louise of Mecklenburg-Strelitz sense of fashion. Since 1793 she was Queen of Prussia and it's highly likely that the new fashion came in handy as she gave birth to her first son and heir after suffering a stillbirth in 1794. There are some portraits by Friedrich Georg Weitsch (1758 - 1828) between 1793 and 1795 showing her in the latest fashion of the short waist.
The following advert was published in the Journal für Fabrik, Manufaktur, handlung und Mode in 1795 at Voss & Comp. in Leipzig:
1795, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode (Quelle/source: googlebooks)
Transkription:
[...]Moden-Gallerie eröffnet von Friedrich Nitze und Compagnie in Berlin 1795. gr.4 Berlin in Commission bei Ernst Felisch Pränummerationspreis 6 Thlr. jedes einzelne Stück 16 Gr
Jährlich erscheinen 12 Hefte, jedes mit zwey, auch drey gestochenen und kolorierten Kupfertafeln[...]
Translation:
[...]Moden-Gallerie opened by Friedrich Nitze und Compagnie in Berlin 1795. gr.4 Berlin in commission by Ernst Felisch. Price for 12 issues 6 Thlr, each one 16 gr.
12 issues per year, each with two or three printed and coloured fashion plates[...]

Es handelte sich um keine Modehandlung, sondern um eine Veröffentlichung von Friedrich Nitze, einem umtriebigen Berliner Händler...und irgendwie kam mir der Titel vertraut vor: Moden-Gallerie? Fashion Gallery? 
Volltreffer! 
Eine spannende Kopie von Nikolaus Heideloffs (1761 - 1837) Publikation aus London!
It wasn't a fashion store, but a publication about fashion from Friedrich Nitze, a businessman from Berlin...and somehow the title seems familiar: Moden-Gallerie? Fashion Gallery? 
Bingo!
It's a fascinating copy of Nicholas Heideloff's (1761 - 1837) publication from London!
(links) 1794 Nicholas Heideloff's gallery of fashion, Frontispiece (Quelle/source: Huffpost) (rechts) 1795 Moden-Gallery Erste Abtheilung Frontispiz (Quelle/source: googlebooks)

Aber eine Kopie im Jahre 1795 bedeutete etwas anderes, denn zum einen gab es kein Copyright und zum anderen wurden alle Bestandteile des Drucks neu gefertigt. Durch Zufall gelang es mir ein Blatt aus der Publikation zu ersteigern. Dieser Kupferstich ist nicht koloriert, gibt aber die Maße der Publikation wieder, die beinah genau dem Maß von Heideloffs Londoner Original entspricht.
But a copy in 1795 meant something completely different than today, first off all there was no copyright and then all parts of the new publication have been made from scratch. Luckily I was able to purchase one of the rare fashion plates from the copy. The print isn't coloured, but it gives a good idea of the measurements, which are almost the same as in Heideloff's original.
 Maße von Friedrich Nitze Moden-Gallerie erste Abtheilung 23.5 x 30 Zentimeter (Gr.4 Quart)
Measurements of Friedrich Nitze Moden-Gallerie Erste Abtheilung 1795 9 1/4 x 11 7/8

November 1794, Nicholas Heideloff's Fashion Gallery, Fig.28/30 Two ladies at breakfast in their dressing room, (image) Material ID  000733000 Bib.ID SB00002307 (Quelle/source: Bunka Gakuen Library)
Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass in der Ausgabe von Friedrich Nitze, die wohl im April 1795 publiziert wurde, die Damen von ihrem Ankleidezimmer in den frühlingshaften Garten umziehen durften. Das schöne silberne Teeservice durften sie dabei selbstverständlich mitnehmen.
It's evident from the very first glance, that the ladies in Friedrich Nitze's copy, which was probably published in April 1795, were allowed to move from the dressing room into the spring garden. The beautiful and unique silverware tea set would follow...of course.

Verantwortlich für diesen Umzug in den Garten waren der renommierte Künstler Johann Christoph Kimpfel (1750 - 1805) und der Kupferstecher Wilhelm Arndt (1750 - 1813).
Sie interpretierten das originale Blatt von Heideloff neu.
The responsibilty for the move into the garden was taken by the artist Johann Christoph Kimpfel (1750 - 1805) and the engraver Wilhelm Arndt (1750 - 1813).
Both intrepreted the original print into their version.

Aber nicht nur der Kupfer selbst unterlief einer Veränderung, sondern auch der Text erschien in einer Interpretation. Zunächst das Original aus Heideloff's Feder:
But not only the plate was changed accordingly, the text also was newly interpreted. First Heideloff's description of the plate: 

[...]TWO LADIES AT BREAKFAST IN THEIR DRESSING-ROOM.
Fig.XXIX Head-dress. A french night cap, the cawl of worked muslin, with a double border of lace in half plaits; round the head, a broad striped riband quilled, with a large bow behind, and in front. The peignoir, or loose jacket and petticoat of checker muslin, with a very broad hem, and the trimming of plain muslin scalloped. Large muslin handkerchief within the peignoir. A narrow riband tied around the waist. White mules, or slippers.
Fig.XXX. Head dress. Duke of York's night cap of clear muslin, the plaits drawn together at the top, and trimmed with a narrow lace, the whole tied around with a small pink riband; deep border edged with the same lace, falling carelessly round the face; a pink riband round the head, tied in a bow behind. Gown and petticoat of fine calico; the petticoat trimmed with a deep flounce of plain muslin; the gown with a capuchin cape and long sleeves tied at the wrists with pink riband; the whole trimmed with plain muslin. Large muslin handkerchief within the gown. Red Morocco slippers.

Nach der etwas nüchternen Beschreibung der Kupferstiche im Original folgt die Übersetzung in Nitzes Kopie mit einem charmanten Einschub:
After the quite sober description of the fashion plates in Heideloff's original, here's Nitze's translation into German with a charming insertion:
1795, Moden-Gallerie Erste Abteheilung (Quelle/source: googlebooks)
Bevor ich auf den Einschub in Nitzes Text eingehe, zwei Punkte, die sofort in das geübte Auge fallen. Zum ersten verwendet der Herausgeber bei seinem Druck nicht die Fraktur, sondern ganz weltmännisch die Druckschrift Didot-Antiqua.
Noch erstaunlicher aber, dass er die Damen in seiner Überschrift der Modekupfer rasch zu Berlinerinnen macht! Soviel Selbstbewusstsein lässt einen schmunzeln!
Before I translate and explain the insertion, I'd like to point out two things, which seem important.
Firstly the publisher printed the journal not in the old fashioned print type "Fraktur", but in Didot-Antiqua.
Furthermore he changed a part of the headline of the decription and turned the two English Ladies into Berlin ladies! Such self confidence!

Text des Einschubs:
[...]Die Schöne hat ihren Matthisson halb zugeschlagen in der Hand und bespricht sich über eine Stelle, welche ihr vorzüglich viel Vergnügen gemacht zu haben scheint, mit ihrer aufmerksam zuhörenden Freundin, die darüber das Theeeinschenken vergessen hat[...]
Text of the insertion:
[...]The Beauty holds her Matthisson half closed in her hands and talks to her attentive friend about a chapter, which seems to give her much pleasure, while she totally forgets to serve more tea[...]

Die Erwähnung von Friedrich von Matthissons (1761 - 1831) berühmten Gedichtband, der bei dem Züricher Verlag Orrell Füssli erschien, scheint willkürlich, aber immerhin führte es dazu, dass Wilhelm Arndt wenige Jahre später einen Kupfertsich des Lyrikers für den Verlag fertigte...Zufall?
The mention of Friedrich von Matthisson's (1761 - 1831) famous poems, which were published by the Zurich's Publisher Orrell Füssli, seems random, but we know that only a few years later Wilhelm Arndt would publish the print of the poet for Orrell Füssli...coincidence?
"Lass uns Matthissons Gedichte lesen..."
"Shall we read Matthisson's poetry..."

1795, Moden-Gallerie Erste Abtheilung, Friedrich Nitze & Comp., Berlin unkoloriert (Quelle/source: googlebooks)
1795, Moden-Gallerie Erste Abtheilung, friedrich Nitze & Comp. Berlin, koloriert, No.E.21667-1957 Versehentlich Nicholas Heideloffs Gallery of Fashion zugeschrieben (Quelle/source: V&A Museum, London)

Und wie reagierte nun Weimar auf den selbstbewussten Friedrich Nitze und seine Kopie des berühmten Londoner Journals? Noch etwas zögerlich setzte das Journal des Luxus und der Moden nur einen Monat später im Mai 1795 das Puderjäckchen in einem Modekupfer um.
And how did Weimar react to the self-confident Friedrich Nitze and his copy of the famous London journal? Still a bit hesitant the Journal des Luxus und der Moden published a fashion plate only one month later in May 1795 with a similar peignoir.
Mai 1795, Kupfertafel 14, Journal des Luxus und der Moden Ident Nr. 14134835 (Quelle/source: smb Staatliche Museen Berlin)
Das freizügige Kopieren verbreitete die Mode aus England Mitte der 1790er rasch durch Europa und es lohnt sich wirklich die Modekupfer mit wachen Augen zu betrachten. Es ist spannend zu sehen, welche Unterschiede bei der Anfertigung der jeweiligen Druckvorlagen entstanden sind und wie im jeweiligen Text der Modedrucke Botschaften vermittelt wurden.
The widely spread practice of copies passed the English fashion in the mid 1790s all over Europe and it is truly rewarding to look at the fashion plates with keen eyes. It's exciting to spot the differences and read the text with their unique messages.
June 1795, Heideloff's Gallery of Fashion, Fig IV. Material ID  000733000 Bib.ID SB00002307 (Quelle/source: Bunka Gakuen Library)
September 1795, Moden-Gallerie Erste Abtheilung Friedrich Nitze & Comp. Berlin (Quelle/source: googlebooks)

Dezember 1795, Allgemeines Europäisches Journal, Traßler, Brünn (Quelle/source: hathitrust)
Also bei mir wurden es dann letztendlich drei Tassen Tee und eine halbe Tafel Schokoladen, dennoch hoffe ich, dass ungeachtet der Länge, der Aufsatz ebensoviel Vergnügen beim Lesen wie beim Schreiben bereitet und meine Leser Modekupfer mit noch mehr Freude betrachten!
Well, in the end I had three cups of tea and half a bar of chocolate, yet I hope that the article, despite it's lenght, has brought some exciting information and that my readers enjoy looking at fashion plates even more!

11 Kommentare:

  1. Was für ein wunderbarer Beitrag, um den Blog wieder zu beleben! Ich freue mich schon auf die nächsten Journal-Abenteuer!

    AntwortenLöschen
  2. Schön, Sie wieder zu lesen! Ich hab' mir schon Sorgen gemacht...

    caterina

    AntwortenLöschen
  3. Antworten
    1. Thank you for your kind words, they are very much appreciated :)

      Löschen
  4. Mich faziniert ja immer, wie du diese Dinge alle so findest. Dieser Beitrag ist wunderbar geschrieben und vermittelt erst mal, wie jeder für sich und seine Puplikation die Bilder und Mode genutzt hat. Danke für diese kompakte Beschreibung! Ich freu mich immer, so was zu lesen, gibt es einem doch einen besseren Hindergrund!

    LG Kerstin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank! Die vielen verschiedenen Journale und z.T. auch Briefe sind ja auch zu fasznierend und wenn ich erst damit anfange darin zu stöbern, vergehen die Stunden wie im Flug und ein neuer Hinweis führt zum nächsten erstaunlichen Fakt...und weiter und weiter ;)

      Löschen
  5. Fascinating! I'm quite surprised that the raised waist was equalled with English fashions at the time...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Thank you :) It is a great excerpt in the Journal des Luxus und der Moden to show the development of terms or labels such as the "English waist" or "English style". It's quite a lot of work and very time consuming to browse through the whole journal in search for such sources, but it's also very rewarding...and once you start to search you'll find plenty of rabbitholes to follow ;)

      Löschen
  6. Toller Beitrag und der Blog gefällt mir auch!
    LG
    Steffi
    Abendkleider

    AntwortenLöschen