Montag, 6. Mai 2019

Anzug einer westphälischen Dame an einem eher kühlen Maienmorgen 1797

Während des Nachmittag-Thees am Mittwoch letzter Woche, konnte ich Mad. Bettinger schließlich überzeugen, dem geneigten Leser einen kleinen Einblick in ihre Garderobe zu gewähren.
Wie aus früheren Erzählungen bekannt, lebt sie in einer westphälischen Kleinstadt und führt einen guten, bürgerlichen Haushalt, der es ihr auch ermöglicht wöchentlich den Salon einer Freundin zu besuchen, wo sie sich in geselliger Runde bei Thee und Coffee über Literatur, die neuste Mode und Klatsch und Tratsch austauscht. Gemeinsam halten die Damen ein Abonnement auf das Weimarer Journal des Luxus und der Moden und das schon seit dem Jahr 1788 - zusammenfassend kann man behaupten, sie sind modisch interessiert, aber dennoch mit ökonomischer Haushaltsführung vertraut.
Genug der Vorrede! Schauen wir, was Mad. Bettingers Schränke, Schubladen, Schachteln und Haken für einen Anzug an einem doch etwas kühlen Montagmorgen bereithalten:
During the afternoon tea last Wednesday, I was finally able to convince Mme Bettinger, to give the dear readers a peek into her wardrobe.
Like written in an earlier note about her, she lives in a small westphalian city and presides over a good middle class household, which also allows her to attend a weekly afternoon salon at her friend's house, where they have tea and coffee and conversations about literature, the latest fashion and plenty of gossip. This small circle of friends also holds a subscription of the Journal des Luxus und der Moden since 1788 - well, it's probably safe to say, that they are very interested in fashion, yet try to preserve an economic household.
Enough said! Let's see, what Mme Bettinger's closets, drawers, boxes and hooks reveal for a dress for a cool Monday morning in May 1797:
In ihrer Garderobe folgt Mad. Bettinger zumeist artig einem Artikel, welcher im Januar des Jahres 1796 im Journal des Luxus und der Moden erschien, und sich gesetzteren Damen in der Mode mit folgenden fünf Regeln empfiehlt:
Mme Bettinger's wardrobe usually follows an article, which was released by the Journal des Luxus und der Moden in January 1796, and that recommends older women five rules for fashion: 
1796 Januar, Journal des Luxus und der Moden, Moden-Neuigkeiten (Quelle/source: ThULB Jena)
Transkription:
1) keine zu hellen, lebhaften und schreyenden, sondern mehr sanfte, bescheidene und dunklere Farben zu Kleidern und Bändern zu wählen
2) Keine Blumen und Federn auf dem Kopf zu tragen
3) keine romantische Coiffure, wilde Frisur, oder zu jugendlichen Kopfputz zu wählen, sondern zwar auch kleine aber mehr tiefe Hauben und Aufsätze zu tragen
4) Den Busen nicht mehr offen, sondern mehr zu, und mit einem Tuche geschlossen zu tragen
5) Mehr Mäntel und Schaals zu tragen, als junge Damen; übrigens aber in den Hauptformen der Kleider, z.E. Angloisen, Polonaisen, Fourreaus, Hauben und Hüthen, zwar immer der herrschenden Mode, jedoch etwas langsamer zu folgen, immer um eine Stufe in jeder Mode zurückzubleiben, und alles Übertriebene bei jeder Mode zu vermeiden.
Translation:
1) no too light, vivid or loud colours, but rather soft, modest and darker ones for dresses and ribbons
2) no flowers or feathers to wear on the head
3) no romantic coiffure, wild hairdos, or a juvenile hatwear, but rather smaller caps and hats
4) do not reveal too much of a cleavage, but rather higher collars and a fichu
5) More mantelets and shawls than younger women; do follow the fashions in dresses like angloises, polonaises, fourreaus, caps and hats, but a bit slower and always a step behind, to prevent the exaggeration.

Soweit die Regeln, aber wir wissen, Papier ist geduldig und hier und da erlaubt sich Mad. Bettinger  auch dem eigenen Geschmack höhere Priorität einzuräumen, zum Beispiel bei ihrem Strohhut, welcher der neusten Mode folgt!
So far for the rules, but we all know that written on a paper doesn't mean written in a stone and sometimes Mme Bettinger allows herself exceptions from the rule, for example with her new fine straw hat!
1. Ihr decoupierter blauer Strohhut wurde just im Mai 1797 im Journal des Luxus und der Moden vorgestellt. Als sie das Hütlein im Journal entdeckt hatte, fühlte sie sich an die schönen Bergères erinnert, die sie in jüngeren Jahren mit Freude getragen hatte.  
Her blue straw hat hat was released in this very month of may 1797 by the Journal des Luxus und der Moden. When she found the hat on that fashion plate, she was reminded of the beautiful bergère hat, which she used to wear when she was younger.
2. Ein Unterrock, schlicht ohne Zier.
A plain petticoat.
3. Ein westphälisches Kleid aus acht Ellen vorzüglicher Baumwolle mit feinen Streifen, welche sie im letzten Frühjahr in Dortmund erworben und bei ihrer Schneiderin hat nähen lassen. Dank der Güte des Stoffes, der Kunst der Schneiderin und der pfleglichen Behandlung, trotzt das Kleidungsstück dem raschen Wechsel der Moden und leistet als Negligée in Haus, Garten und zu morgendlichen und nachmittäglichen Besuchen seine Dienste.
 A westphalian dress made of eight ells of the best cotton with fine stripes, which she bought past year in Dortmund and which was sewn by her seamstress. Due to the quality of the fabric, the skills of the seamstress and the care and maintenance, this garment defies the quick change of fashion and is still in use for undress in house and garden and for morning and afternoon visits.
4. Ein Schnürleib, wie man ihn bei der Schneiderin nähen lassen oder auch Daheim in der Nähstube fertigen kann.
A pair of stays, how it's offered by the seamstress or also can be sewn at home by a skilled woman.
5. Ein modischer Aufsatz aus dem Jahre 1796, den man statt des Strohhuts tragen kann und der sich nicht nur zum Negligée, sondern auch zum halben Anzug eignet.
A fashionable head piece from 1796, which can be worn instead of the straw hat and is also suitable for half dress.
6. Eine Schürze mit gerüschtem Flor in schwarz für den häuslichen Gebrauch.
An apron with fine frill for undress.
7. Eine schlichte Chemise aus Leinen, die täglich gewechselt wird.
A plain chemise from linen, which is changed daily.
8. Ein Flor-Mantel aus dem Jahr 1796. Er wird über dem Kleid (und auch über dem Caraco) getragen. Eine lohnende Anschaffung, denn der Mantel wird noch einige Zeit in Mode bleiben.
A light mantelet from 1796. It is worn on top of the dress (and caraco). A good choice as it will remain in fashion for the upcoming years.
9. Baumwollene oder seidene Strümpfe, vorzugsweise in Weiß.
Stockings made of cotton or silk, preferably in white.
10. Ein wattierter Caraco aus hellblauem Seidentaft. Ein Lieblingsstück in Mad. Bettingers Garderobe seit 1786, dem sie stets viel Sorgfalt und Pflege gewidmet hat, denn die Seide und die Arbeit der Wattierung waren gleichermaßen kostspielig und zeitaufwändig. Zu Beginn der 1790er wurden die Schößchen ein wenig ausgebessert und eingekürzt, da die Kanten etwas angestoßen waren, ehe das Kleidungsstück 1794 nochmals nach der neusten Mode umgearbeitet bzw eingekürzt wurde, und nun dient es an kühleren Tagen als Bekleidung für Besuche bei Freunden.
A quilted caraco from blue silk taffeta. A favourite from Mme Bettinger's wardrobe since 1786, which she has always taken good care and maintenance of, because the silk was expensive and the quilting was done by an expeirienced seamstress. At the beginning of the 1790s the peplum was slightly shortened, as the edges weren't in mint condition anymore, then in 1794 is was altered again following the latest fashion of shorter waists. It's still worn on cool mornings or chilly afternoons when visiting friends.
11. Schuhschnallen, ein liebgewonnenes Erinnerungsstück. Eigentlich sind sie in Weimar, Berlin und Paris schon längst aus der Mode, aber Mad. Bettinger kann sich nicht gut davon trennen. Die neuen flachen Schuhe sagen ihr gar nicht zu.
Shoe buckles, a fond memory. Actually they are out of fashion in Weimar, Berlin and Paris for a while, but Mme Bettinger can't part with these. She isn't fond of the new flat shoes either.
12. Schwarze Seidenschuhe passend zu den Schuhschnallen. Obwohl auch schon lange aus der Mode, hat Madame dieses Paar erst kürzlich neu besohlen lassen und bereits ein weiteres Paar gleicher Art im Ort beim Schuhmacher bestellt.
Black silk shoes matching the shoe buckles. also out of fashion for quite a while, Mme Bettinger has them resoled recently and ordered another pair in this style.
13. Lederne Handschuhe. Diese Handschuhe sind kurz, da der Caraco lange Ärmel hat. Sie schonen die Hände und vervollständigen den Anzug eines jeden Frauenzimmers.
Leather gloves. These gloves are short, because they are worn with the caraco. They treat the hands with care and complete the fine dress of every lady.
14. Ein Haarband, vorzugsweise aus Seide, Flor oder Samt.
A hair ribbon, preferably made of silk, organdy or velvet.
15. Ein Beutel. Diese Mode ist noch recht jung, wird aber mit großer Begeisterung angenommen.
A bag. This fashion is still new, but already very popular.
16. Ein feines Fichu. Aus der Mode der Frauenzimmer nicht wegzudenken...und so wird es auch noch eine Weile bleiben!
A fine fichu. An indispensable fashion for ladies for the past years and a few years ahead!
1798, Pehr Hilleström, T fruentimmers (Auschnitt) (Quelle/source: wikicommons)