Im Februar habe ich damit begonnen, einen lang gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen und die Frauenstammbücher meiner Sammlung als Zeitzeugnisse in meine Blogbeiträge einzureihen, um sie Interessierten und Forschenden zur Verfügung zu stellen...und um ein weit gefächertes Bild der Zeit zu ermöglichen, das auch andere Moden erläutert.
Das Album Amicorum, welches ich heute vorstellen möchte, ist das älteste und kleinste in meiner Sammlung....und möglicherweise inhaltlich das Interessanteste.
Leider hat der Zahn der Zeit in den mehr als 250 Jahren beträchtlich an dem schönen Stück genagt, es war Feuchtigkeit und Sonnenstrahlen ausgesetzt und hat seine Bindung eingebüßt.
Dennoch hält es zwischen den beiden seidenverkleideten losen Buchdeckeln einen spannenden Ausschnitt aus dem Leben der C.F.C. Hill, genannt Friederike, aus der Hansestadt Stettin, dem heutigen Szczecin im Nordwesten Polens.
Das kleine Stammbuch mißt nur 9 Zentimeter x 13,5 Zentimeter. Es ist außen in dunkelgrüner Seide gebunden und innen sind die Buchdeckel mit ehemals rosaroter Seide ausgekleidet.
Vorn trägt es die vergoldete Prägung A mes Amis und auf dem Rücken die Initialen C.F.C.Hill 1769, beidseitig umgeben von einem goldgeprägten Ornamentrahmen.
Leider konnte ich nur das "F" der Initialen entschlüsseln und damit wohl den Rufnamen der Albumhalterin, denn ein Eintrag spricht sie direkt mit dem französischen Pendant zur deutschen Friedrike an:
Im Gegensatz zu den anderen Stammbüchern meiner Sammlung findet sich nur ein einziger Einträge ihrer Familie, aber dazu später mehr.
Zunächst das schöne Vorblatt, das Friederike Hill höchstwahrscheinlich selbst gestaltet hat und mit dem sie ihre Freunde und Bekannten einlud, sich in ihrem Büchlein zu verewigen.
In Eile hingeworfen Stettin d.12. Sept. 1769 |
Wer war Friederike Hill, dass sie sich ein solch kostbares Album erlauben konnte?
Eine Quelle aus dem Jahr 1781 gibt möglicherweise Einblick in ihre Familie und ihr Elternhaus.
1781, Gedichte von Karoline Christiane Luise Rudolphi (Quelle: googlebooks) |
In der Liste der Subskribenten der schöngeistigen Literatur finden wir den Namen Hill aus Stettin unter dem Eintrag Frau Krieges-und Domainenräthinn.
Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um ihre Mutter handelt.
Dem hohen Amt des Vaters als Domänenrat entsprechend sind einige Zeilen vornehm in französischer Sprache gehalten und die Liste der Einträger liest sich mit Namen wie de Knobelsdorff, Marschall de Bieberstein, Einträger der Familie Salingre, de Gröben geb. Podewils, von der Lahr, Wilhelm von Kleist und andere einflussreiche Namen in Stettin.
Die einzige Einträgerin der Familie allerdings ist Caroline Hill, vermutlich ihre Schwester.
Transkription:
Wie glücklich ist der Mensch, der sich auch Menschen kennet;
Der Ruhm in sich verdient und Titel Narren gönnet.
Der um zu Lieben lebt; der menschlich edel liebt.
Der sich selbst fröhlich macht und andre nicht betrübt;
Die Welt ist dem nur schön, der ihren Werth erkennet.
Mit Platons Augen forscht und sich vom Pöbel trennet.
Des Mißvergnügens Strom entspringet aus uns allein
Wer sich nicht glücklich glaubt, wird nie zufrieden seyn.
Bei der Unterschrift der schönen und wahren Zeilen wurde ich aufmerksam (und ein bisschen aufgeregt!), denn zu der Zeit als das Büchlein in meinen Besitz kam, hatte ich mich gerade in die zweibändige Ausgabe der Tagebücher der Louise Henriette Wilhelmine von Anhalt-Dessau vertieft.
In den Tagebüchern fällt der Name Caroline Hill an einigen Stellen.
Sie war die morganatische Ehefrau des Prinzen Johann Georg von Anhalt-Dessau (1748 - 1811), der nach einer Grand Tour in den Jahren 1765 bis 1767 eine Offizierslaufbahn im preussischen Militär anstrebte, genauer gesagt in Stettin, wo er schließlich im Jahr 1779 nach der Teilnahme am bayrischen Erbfolgekrieg seinen Dienst als Kommandant dimittierte um nach Dessau zurückzukehren. (Quelle: Kulturstiftung Dessau-Wörlitz (Hg.), Unendlich schön - Das Gartenreich Dessau Wörlitz, Seite 226 ff)
Viel ist über Johann Georg, der sich selbst Hans Jürge nannte, nicht erhalten, denn nach dem Tod seiner nicht standesgemäßen Ehefrau wurde sein Nachlass verstreut.
Es blieb das Georgium als Teil des Gartenreiches Dessau-Wörlitz.
Noch weniger ist über seine Ehefrau Caroline Hill (1748-1822) hinterlassen, denn die meisten ihrer Unterlagen sind als Kriegsverlust notiert.
Allerdings ist eine Beschreibung vom Georgenhaus und den Zimmern der Caroline Hill erhalten:
1796, August Rode, Wegweiser durch die Sehenswürdigkeiten von Dessau, Zweites Heft, Beschreibung vom Georgenhaus (Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) |
Ist die Albumhalterin Friedrike Hill tatsächlich die Schwägerin des Prinzen Hans Jürge von Anhalt-Dessau?
Es bleibt lediglich eine Mutmaßung. Ein Urteil kann ich mir nicht erlauben, wenngleich einige Lebensumstände durchaus in diese Richtung gedeutet werden könnten, fehlt mir die Bestätigung einer weiterführende Forschung durch Biographen.
Meine Freude an dem Stammbuch gewinnt sich dann doch vor allem aus den wunderschönen Einträgen, die einem heute mitunter Rätsel aufgeben und noch so viele Geheimnisse halten.
Zum Beispiel die folgenden mäandernden Zeilen, die scheinbar ein Wort formen.
Vielleicht gelingt es meiner Leserschaft das Rätsel um das Wort zu lösen?
Transkription:
O hätten nur des Lebens kurze Tage nicht Trennungen, so wäre bei aller Klage nichts Schreckliches in der Natur.
Die Worte stammen, in leicht abgewandelter Form aus dem dramatischen Roman Gustav Aldermann von Friedrich Traugott Hase, der 1779 in Dresden erschien. In dem Roman richtet Amalie die Worte an den Protagonisten.
Sollten die Worte tatsächlich auf dem Roman beruhen, ließe sich der Eintrag auf das Jahr 1779 oder später datieren, denn leider fehlen Unterschrift und Datierung.
Im Folgenden findet sich die Digitalisierung des Stammbuchs der C.F.C. Hill aus Stettin, welches von 1769 bis 1795 geführt wurde. Es sei angemerkt, dass in diesem Fall ausschließlich die beschriebenen Seiten aufgeführt sind. Zur Vergrößerung bitte die Seiten anwählen.
Weitere Stammbücher finden sich unter dem Menü Album Amicorum Bibliographie, außerdem hat das Stammbuch einen Eintrag/Link im Repertorium Alborum Amicorum RAA.
Auf diesem Blatt wird die Albumhalterin in den Zeilen mit der (eigentlich männlichen) Koseform "Fritzchen" (für Friederike) direkt angesprochen. |
Liebe Sabine,
AntwortenLöschenes erfreut mich sehr, hier in naher Vergangenheit mehr zum Lesen vorzufinden. Mal aus Weimar, mal von Andernorts, oft über textile Themen und hier mit diesem schönen Stück persönlicher Geschichte mit Verbindung nach Stettin.
Das alles lese ich mit viel Pläsier.
Herzlichst,
Chri
Lieber Chri, es freut mich, dass die Beiträge Dir ein Lesevergnügen bescheren, besonders gerade die Beiträge über die Stammbücher, denn es hat einige Zeit gedauert, ehe ich die Entscheidung dazu getroffen habe. Ich hoffe, die Kleidung dazu in schönen Kontext zu setzen und ein tieferes Bild der Zeit um 1800 zu ermöglichen. Danke für Deinen herzlichen Kommentar!
LöschenDas ist ja ein wunderschönes Album. Besonders gefällt mir die Zeichnung mit dem Paar - wo man die typische Kleidung in Deutschland um 1770 erkennen kann. Aber auch die Landschaftsdarstellung ist sehr ansprechend. Ich habe neulich in Basel im Kunstmuseum ein sehr schönes Album mit kolorierten Handzeichnungen einer Künstlerpersönlichkeit gesehen. Es ist aber ganz gleich, ob Amateur oder Profi. Diese Werke haben durch ihre Originalität und Intimität einen besonderen Reiz.
AntwortenLöschenVielen vielen Dank fürs Vorstellen.
Vielen Dank für den freundlichen Kommentar. Die schönen Stammbücher begeistern mich nun schon seit ein paar Jahren und ich finde, sie bieten eine wunderbare Möglichkeit in den Alltag und die Gepflogenheiten einzutauchen. In den nächsten Monaten folgen noch weitere Alben, das Digitalisieren erfordert leider immer recht viel Zeit, daher stelle ich sie erst nach und nach ein. Es freut mich sehr, dass sie hier Anklang finden, gerne sende ich auch Fotos mit höherer Auflösung zu Recherchezwecken zu.
Löschen