Mittwoch, 29. Februar 2012

KCI 1826 Day Dress

...oder: wie das Kleid möglicherweise tatsächlich zu diesem Zeitpunkt ausgesehen haben mag.
In meinen vorherigen Beiträgen zu dem Kleidungsstück, habe ich bereits angedeutet, dass ich mich für eine andere Ärmelform als beim Original des Kyoto Costume Institutes entschieden habe, da ich in den Modekupfern der Zeit keinerlei Hinweis auf andersfarbige und üppig weite Ärmel (außer weißen, hauchzarten Mousselinüberärmeln)  gefunden habe.
Aber nun endlich der wohlverdiente Blick auf das Kleid!
...or: how the dress possibly might have looked like in that year.
I already tried to explain in my previous posts, that I'd chose another style of sleeves than those of the original in the Kyoto Costume Institute collection, as I couldn't find any hint in the fashion plates about huge sleeves in a totally different colour scheme (except the thin white muslin oversleeves).
But now on to the dress!


Für das gesamte (natürlich komplett handgenähte) Kleid habe ich 4.50 m Seidentaft benötigt, sowie etwa 1.5 m grünen Baumwollsatin und etwa 1.5 Baumwolle (mit Tee gefärbt) für das Futter.
The whole dress (which certainly is completely hand sewn) called for 5 yards of silk taffeta, and 1.6 yard of cotton satin and the same amount of tea-dyed cotton for lining.


Der Gürtel ist aus einer Lage Baumwollsatin (versteift mit Rosshaareinlage) und einem aufgenähten Streifen dunkelgrünem Baumwollbrokat mit Eichenlaubmuster.
The belt is made from a layer of cotton satin (stiffened with horsehair canvas) on which I mounted a strip of dark green cotton brokade with an oakleaf ornament.


Zur Konstruktion der Ärmel ist hinzuzufügen, dass ich mich für eine mittlere Weite entschieden habe, wie sie um 1825/26 in Mode waren. In einigen europäischen Ländern hielten sich die schmaleren Ärmel länger als in anderen, was ein Vergleich verschiedener Modekupfer darlegt.
I have to add to the construction of the sleeves, that I went for a semi wide sleeve puff, how it was fashionable in 1825/26. In some European countries the narrower sleeves lasted longer than in others, which is clearly documented with the different fashion plates from various magazines.

Das endgültige Schnittmuster/ the final pattern

Der zusammengenähte Ärmel. Um einigermaßen Stand zu gewährleisten wurden die Ärmel noch mit Baumwollstoff gefüttert.
The constructed sleeve. To provide the sleeve with a stand it is lined with cotton.

Bei der Wahl des Ärmelaufschlags hielt ich mich daran, das Muster des Kleides wieder aufzugreifen. Ich setzte grüne Paspeln ein und einen breiteren Streifen Satin wie am Rockteil. Die Ärmelaufschläge für Tageskleider waren seinerzeit zumeist eher schmaler gehalten.
My choice of the cuffs was influenced by the pattern of the dress. I added green piping and a Rouleaux of satin like I've done on the skirt. The cuffs of day dresses usually were quite small.

Das ganze Kleid von Innen. Leider ist der Rocksaum etwas kurz geraten, da der Rock des Originalkleids vom KCI auf der Puppe recht kurz wirkt. Der Rock wurde auch in der Tat mit der Zeit kürzer, aber um 1826 war er noch länger. Leider machte ich die Feststellung erst nachdem der Rock zugeschnitten war.
Der übergeschlagene Saum diente im gekräuselten Rückteil zudem als eine Art "Pokissen", um dem Kleid mehr Stand zu verleihen.
Im Bild erkennbar sind die Nähte und das eingesetzte Taillenband.
The inside view of the dress. Unfortunatley the skirt seam is pretty short, due to the pictures of the original KCI dress. The skirt was in fact becoming shorter during that decade, but in 1826 it still had to reach the ankle. Pitty, I've noticed that after the skirt was cut.
The folded and gathered seam served as a kind of bum pad in the the back.
Seen in the picture are the seams and the added waistband.
Die Rückseite. Das Kleid wird mit 8 Haken und Bügeln (anstelle von Ösen!) geschlossen - an dieser Stelle nochmal vielen Dank an Natalie, die mir ein paar dieser Verschlüsse zugesandt hat!
The back view. The dress is closed with 8 hooks and loops - a heartfelt thank you to Natalie, who sent me these wonderful closures!

Die versäuberten Ärmel. Häufig lasse ich die Ärmel unversäubert, aber da Seide dazu neigt, stark auszufransen, habe ich mich für das Vernähen entschieden.
The finished sleeve caps. Usually I leave the sleeve seams unfinished, but as silk tends to fray too much I decided to finish the ends.


Ein Bild ohne Gürtel. Hier wird deutlich, wie wichtig das Accessoire gewesen ist. Der Gürtel betont nochmal die schmale Taille - die, nebenbei bemerkt, natürlich kaum so schmal ist, wie es uns die Modekupfer weismachen wollen (Da hat sich in den Jahrhunderten nicht viel geändert, was?)
A photo without the belt. It clearly shows how important this accessoire was. The belt emphazises the small waist - which is, I may remark, never as tiny as the fashion plates would love to make us believe back then (Not much has changed in this regard throughout the centuries, eh?)

Zu einem kompletten 1826 Ensemble gehört selbstverständlich auch eine passende "verrückte" Frisur. Als Vorbild dienten mir Johanna Henriette Engelen und diverse Modekupfer aus dem Jahr 1826. Die Frisur ist mir auch recht gut geglückt, allerdings stellte sich im künstlichen Licht des gestrigen Abends heraus, dass einzelne Locken nicht erkennbar sind, schlimmer noch, es wirkte wie eine große dunkle Einheit. 
Was tut man da?! Einfach zu einer verrückten großen und gerüschten Haube greifen, wie sie in den 1820ern in Mode kam.
(Ich bitte die schlechten Lichtverhältnisse im Bild und die mindere Qualität der Aufnahmen zu entschuldigen)
A complete 1826 ensemble calls also for a kind of "silly" hair. I was inspired by Johanna Henriette Engelen and various fashion plates from 1826. The hair turned out wonderfully, but due to the artificial light yesterday evening, not a single curl could bee seen, even worse the hair seemed to look like a giant dark, rather comical mass.
What to do?! I grabbed a huge and frilly silly cap instead, how it was fashionable throughout the 1820s.
(My apologies for the poor light and overall quality of the photos)


Zu dem Kleid trage ich ein Unterkleid, ein langes 1820er Korsett und einen Unterrock, weiße Strümpfe und flache schwarze Schuhe.
Ich weiß, im Anbetracht der vorherrschenden guten Sitten um 1826 hätte ich ein wenig ernster dreinblicken sollen, aber dieses Kleid bringt mich einfach immer zum Lachen.
Under this dress I'm wearing a shirt, a long 1820s corset, a petticoat, white stockings and black, flat slippers.
I know, according to the good manners of 1826, I should have put on a more decent face, but this dress simply makes me giggle.

Sonntag, 26. Februar 2012

Fundstücke Februar

Bei all den nähenswerten Kleidungsstücken, die es noch nachzuarbeiten gilt, hört der Herr des Hauses mich immer wieder seufzen 
"Ach, hätt ich doch nur mehr Arme!"
Ja, was soll ich da sagen:
With all those amazing garments to sew, my husband often hears me sighing
"If only I'd have another pair of arms!"
Well, here they are:

Aber natürlich können die beiden Arme nicht mit anpacken und sie sind auch eher dazu gedacht, den Kleidern auf der Schneiderpuppe etwas mehr Anmut zu verleihen. Auf die Idee gebracht wurde ich durch die herrlichen Schneiderpuppen von American Duchess und Alwa Petroni.
Da es hierzulande leider kaum Puppen mit Armen gibt (und wenn, dann unerschwinglich für den Geldbeutel), habe ich ein paar ausgediente Schaufensterpuppenarme erworben, die in Kürze auf meine zweite Schneiderpuppe aufmontiert werden.
Unfortunately these arms are not a huge help sewing-wise, but they'll be of good aid when it comes to giving a dress a bit more grace on the dress form. I got the idea from the lovely dressforms on American Duchess' and  Alwa Petroni's websites.
As we have a lack of dressforms with arms over here (unless you're not willing to pay a huge amount of money), I've bought a pair of old arms from a shop's model, which will soon be added to my second dressform.

Aber das sind noch nicht alle Fundstücke für diesen Monat. Seit gestern steckt meine Nase nämlich unaufhörlich in einem wunderbaren Buch! Für alle, die von Geschichte einfach nicht genug bekommen können (und wir reden hier nicht über nüchterne Jahreszahlen und politische Ereignisse, sondern über die Geschichte des täglichen Lebens), sei diese umfangreiche Lektüre wärmstens ans Herz gelegt:
Bill Bryson, Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge (2011)
But there are more finds for this month to share. Since yesterday my nose is buried in one of the most amazing and entertaining books ever! For all, who are fond of history (and I'm not talking of sober dates or political issues, but the history of daily life), this wonderful read will warm your heart:
Bill Bryson, At Home. A short history of private life (2010)

 Und zu guter Letzt noch etwas für den eleganten Herrn um 1800, der ab und an gerne Mal seine Stiefel gegen ein Paar Gesellschaftsschuhe tauscht:
And last but not least something for the dashing gentleman, who is willing to change his boots from time to time for a proper pair of dancing shoes:

Dienstag, 14. Februar 2012

Das Warten nimmt kein Ende...

Es scheint als hätten Eis und Schnee in den letzten Tagen nicht nur die Landschaft eingehüllt, sondern auch das alltägliche Leben ein wenig verlangsamt. Leider warte ich noch immer händeringend auf Nachschub für die Ärmel des KCI 1826 Kleids.
Damit aber nicht erst das Gerücht aufkommt, ich hätte mich aufgrund des Wetters ebenfalls in den Winterschlaf verabschiedet, im Folgenden ein paar Zeilen und Fotos zum Oberteil des Kleides (natürlich ohne Ärmel).
It seems as if snow and ice have not only spread their freezing veil upon the landscape, but also slowed down life in general. Alas! I still desperatley wait for the silk delievery for the planned sleeves of the KCI 1826 dress. And as I'm not likely to support rumours, that facing the current weather I decided to hibernate, I'll share some information and photos about the bodice of the dress (minus the sleeves).

Das Kyoto Costume Institute versagt uns leider den Blick auf die Rückansicht des Kleidungsstückes, also hieß es folglich wieder ein paar Modekupfer als Referenz herauszusuchen. Glücklicherweise wurde ich auf den tumblr Seite Old Rags und Dames a la Mode mit wunderbaren "Kehrseiten" belohnt.
Folgten Verzierungen in der ersten und zweiten Dekade häufig noch dem tatsächlichen Kragenverlauf, legte man in den 1820er Jahren  - mit der Wiederentdeckung der Taille - großen Wert darauf die Figur zu betonen und die Verzierungen auf der Vorder - und Rückseite des Kleides in einer Art und Weise anzusetzen, dass die schmale Taille noch mehr betont wurde. 
Unfortunately the Kyoto Costume Institut denies us a peek on the backside of the dress, thus I had to search fashion plates galore for reference. Luckily I was rewarded with beautiful fashion plates from the superb tumblrs Old Rags and Dames a la Mode.
While embelishment in the first and second decade of the 19th century usually followed the true neckline of a dress, the fashion of the 1820s - with the rediscoverery of the dropped waistline - added the embelishment on the bodice and collar to put emphasize on the shape.

Das vordere Teil des Oberteils wurde im Schrägverlauf des Stoffes geschnitten und mit einem Abnäher versehen. In der Mitte wird es durch eine farblich kontrastierende Paspelierung zusammengefasst. Auch am Kragen befindet sich eine Paspelierung, diese wird allerdings noch von einem Streifen Seide (im Schrägverlauf zugeschnitten) gefasst.
Die Verzierungen bestehen aus jeweils zwei leicht winklig zulaufenden Stoffstücken, die mittig (Schulter) zusammengenäht wurden. Die Streifen werden gepaspelt und mit Dreiecken versehen. Dadurch, dass der Stoff im Querverlauf zugeschnitten wurde, schmiegt sich die Verzierung gut an.
Auf der Schulter werden  die Schleifen drapiert.
The front piece of the bodice was cut on bias with one dart on each side. Both parts are attached with a contrasting piped strip of cotton satin. The collar is edged with piping and finished with a further piece of silk (cut on the bias).
The embelishment is made of two straight pieces (again cut on the bias), which are sewn together in the middle (shoulder part). The strips are piped and vandyked. As the silk is cut on the bias, it's easy to get a smooth shape following the body lines. There are two ties draped on the shoulder.

Vorderansicht/ front view

Rückansicht (Haken und Ösen sind noch nicht angebracht)
Back view (hooks and eyes still missing)

Ein Blick unter die Verzierung. Keine Sorge, die losen Fäden und das ungefütterte Durcheinander werden später von den weiten Ärmeln verdeckt.
A view of the backside of the embelishment. Don't worry, the loose threads and unlined seams will later be covered by the huge sleeveheads.

Das Oberteil ist mit Baumwolle gefüttert, die zuvor mit Tee ein paar Nuancen dunkler gefärbt wurde.
The bodic is lined with cotton, which I have dyed with tea to a darker shade.

Im Bild gut sichtbar sind die Abnäher, die Versäuberung des Kragens, sowie die Stiche mittels derer die Verzierungen angebracht wurden.
Shown are the darts, the finish of the neckline and the stitches, which were used to attach the embelishment.


Und beim nächsten Mal gibt es dann hoffentlich etwas über die Ärmel zu berichten...bis dahin 
Happy Sewing!
And next time it's hopefully all about the sleeves...til then 
happy sewing!

Sonntag, 5. Februar 2012

Ein Sonntagsspaziergang ins Jahr 1804

Das Oberteil für das 1826 Kleid steht kurz vor der Fertigstellung und nun warte ich händeringend auf seidenen Nachschub für die Ärmel. 
Was eignet sich da an einem Sonntag besser, als an einen kleinen Spaziergang zu denken?
Dieser beabsichtigte Spaziergang führt mich allerdings nicht vor die Tür, sondern zurück in das Jahr 1804.
Zugegeben, auch meine Vorstellung über diese Zeit ist zuweilen fälschlicherweise geprägt von den romantischen BBC Verfilmungen, aber wie sah es denn eigentlich vor über zweihundert Jahren vor der eigenen Haustür aus?
Einen wunderbaren, wenngleich auch wenig romantischen Einblick geben da die Aktenordner des Archivs:
The bodice of the 1826 dress is close to completions and now I'm urgently awaiting the silk supply for the sleeves.
While waiting a little Sunday's stroll seems to be a lovely idea!
This stroll however won't lead me into nature (as usual), but back into the year 1804.
Admittedly my idea of the time is sometimes misleadingly influenced by the romantic BBC movies, but what was life like more than two hundred years ago in front of my doorstep?
An amazing, but not very romantic eye-opener are the folders of our archives with their first hand documents:

…Im Jahr 1804 war die Stadt Menden ihrem ganzen Charakter nach, wie fast alle Städte des Herzogtums, noch immer ein von Mauern umgebenes Dorf. Die alten Befestigungsanlagen standen zwar noch, aber sie waren verfallen. Einige Stellen waren notdürftig geflickt, an anderen hatte man einfach Häuser an oder auf die Mauerreste und –fundamente gebaut. Nur drei Straßen hatten einige Breite: die Hauptstraße, die Kirchstraße und die Mühlstraße (heute Bahnhofsstraße). Diese waren auch als einzige mit einem holprigen Pflaster versehen. Alle anderen waren enge, grundlose und winklige Gassen. Die Häuser – 1804 wurden 254 gezählt – waren niedrige Fachwerkbauten, häufig noch mit Stroh gedeckt. Es gab nur sieben oder acht Steinhäuser darunter. Die Bewohner betrieben neben ihrem eigentlichen Gewerbe (Handwerk oder Handel) noch eine kleine Landwirtschaft, mit der sie ihren eigenen Bedarf deckten.
Da der Raum innerhalb der Mauern knapp war, konnten keine Stallungen und Scheunen gebaut werden. Mensch und Vieh lebten unter einem Dach.
Wenn man ein Haus betrat, befanden sich links und rechts von der Tenne zunächst Stallungen, weiter hinten waren die wenigen kleinen und niedrigen Wohnräume. Auf dem Dachboden, dem Balken, der das Dach trug, wurden Vorräte aufbewahrt. Abfälle und Dünger wurden vor das Haus auf die Straße gelegt. Ebenso wurde hier das Brandholz gestapelt und die Ackergeräte abgestellt…
(Quelle: Menden - eine Stadt in ihrem Raum, 1973)

…in 1804 the city of Menden could be charactarised, like most towns of the duchy, as a mere village surrounded by a medieval city wall. The old walls were still standing, but they’ve been in a state of decay. Some parts were poorly mended, some serve as walls for houses, which have been build on the foundations. Only three streets have been considerably broad: the Hauptstraße (Mainstreet), the Kirchstraße (Curch Street) and the Mühlenstraße (Millstreet). Only these three streets  have been paved with cobblestone. All the other streets were a maze of narrow, muddy and winding alleys.
The houses – 254 have been counted in 1804 – were low-ceilinged timbered houses, usually thatched with straw. Among the count only seven or eight have been houses build with stone. Alongside to conducting their actual trade (craft or moderate commerce) the dwellers maintained a minor husbandry, to provide their own supply.
As the space within the walls was limited, there was no possibilty to build stables or barns. The dwellers and their livestock used to live under one roof.
When entering a house, one immediately stood in the hall, where the livestock was kept in open stables on both sides, in the back of the hall a few tiny and low-ceilinged chambers followed. Stock was kept in the attic. Wastes and manures were simply disposed on the streets next to the piles of fire wood and the argicultural implement…
(Source: Menden - Eine Stadt in ihrem Raum, 1973)
Stadt Menden, Mitte 19.Jahrhundert