Donnerstag, 22. April 2021

Nicht von schlechter Pappe: alte Schachteln und Papiere

 Da musste ich  beinah erst ein Alter erreichen, welches buchstäblich der vielzitierten "Alten Schachtel" näherrückt, um meine Leidenschaft für das Papier wieder zu entdecken. Die Faszination für Papier existierte bereits vor meiner Ausbildung zur Buchhändlerin, wurde da aber vertieft.
Während sich meine Begeisterung damals aber eher auf mit Lettern bedruckte Papiere beschränkte, kam in den letzten Jahren ein Interesse für handgefertigte Buntpapiere und Pappen hinzu.
Seit dem vergangenen Jahr versuche ich mich in der Fertigung von Kleisterpapier, Marmorpapier und Schachteln, wobei die Betonung auf "versuchen" liegt, denn es handelt sich dabei um ein altes Handwerk, dem eine umfassende Ausbildung zugrunde lag und das, was ich mir angeeignet habe, ist lediglich ein enthusiastisches Dilettieren, aber keinesfalls mit handwerklichem oder künstlerisch hohem Anspruch...wer danach sucht, dem empfehle ich die umfassenden Seiten von buntpapier.org
Papiere und Pappen waren im ausgehenden 18.Jahrhundert aus den Haushalten nicht mehr wegzudenken. Geformt oder geleimt dienten sie als kleine Schachteln bis hin zu Coffrets zur Aufbewahrung aller möglichen Gegenstände im Haushalt. Schön gestaltet verwahrten sie den Putz der Hausdame oder wurden mit Geschenken bestückt an Freunde verschickt, wie Goethes berühmte Mirabellenschachtel (samt Mirabellen und Gedicht).
 
Pappenmacher arbeiteten mit geleimten, geglätteten Papieren und mit einer Masse von eingeweichten Papieren, die über Model gearbeitet wurden. (Quelle: Johann Karl Gottfried Jacobsons technologisches Wörterbuch, Band III, 1783)
Der Beruf war verwandt mit den Papiermachern und weiter gefasst auch mit den Schachtelmachern (zunftfrei) und den Siebmachern, wobei letztere ausschließlich mit Holz und die Schachtelmacher sowohl mit Holz als auch Pappe arbeiteten. 
 
1820, Thomas Rowlandson, Rowlandson's characteristic Sketches of the lower oerders (Quelle: British Library)

Die Schachtel, die es in allen erdenklichen Formen zum Aufklappen oder zweiteilig mit Deckel gab, sieht man besonders häufig auf Darstellungen von Modistinnen und Putzmacherinnen.
 
ca.1805, Milliner (Quelle: The New York Public Library Online Collection)

 Von dort wurden sie in die Häuser der Kundinnen getragen

1799, Blatt einer Modistin aus Edward Hawke Lockers Kartenspiel

Aber nicht nur die Schachteln der Händler und Händlerinnen gelangten in die Wohnstuben, sondern in Frankreich gab es auch die Sitte der Brautschachteln (Boite de Mariage oder Coffret de mariage). Diese schönen Stücke waren recht groß und entweder aus Pappe oder Holz.
Nicolas Lavreince, L'accident imprévu (Quelle: Kunsthandel Koskull)

Besonders in den Interieurdarstellungen Jean-Baptiste Mallets finden sich immer wieder Schachteln. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man sie in schöner Regelmäßigkeit unter Tischen, neben Betten und auf Schreibschränken, geschickt platziert und in Szene gesetzt. 
Groß oder klein, bunt verziert oder schlicht, rund oder eckig.
Jean-Baptiste Mallet (zugeschrieben), Interieur mit zwei eleganten Damen (Quelle: artnet)

Jean-Baptiste Mallet, La Toilette (Quelle: artnet)

Was lag also näher, meine dilettantische Schaffensfreude an Papier-und Pappenarbeiten zur Aufbewahrung meiner Schuhe, Hüte und Bänder zu nutzen?
Nachdem ich bereits einige kleinere Hut-und Schuhschachteln in der Vergangenheit aus heller Architektenpappe gefertigt hatte, fasste ich den Entschluß mich an eine größere Ausführung zu wagen.
Ein Köfferchen aus Pappe mit Runddeckel, so wie ich sie in vielen zeitgenössischen Darstellungen entdeckt hatte.
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Monsieur Robardey von Les Soirees Amusantes, der mich durch detaillierte Bilder an seiner wunderschönen originalen Schachtel aus dem ausgehenden 18.Jahrhundert teilhaben ließ und meine nachfolgende Arbeit inspirierte.
 
Um der Schachtel genügend Festigkeit zu geben, wählte ich 4mm Pappe, die wie folgt bearbeitet wurde:

 Die Schachtel sollte später mit dem Runddeckel verbunden werden. Im Zuschnitt sieht man die Teile für das Grundgerüst, wobei die Ausarbeitung des Runddeckels entsprechend zugeschnittene Papplängen benötigte, die ähnlich wie Holzbrettchen aufgeleimt wurden.
Zunächst aber mußten die abgebildeten Teile miteinander verleimt werden. Dazu verwendete man auch damals unter anderem Holzleim (meistens Knochenleim), bei manchen Schachteln wurde aber auch zu Nadel und Faden gegriffen und die Teile wurden miteinander vernäht.
Ich entschied mich für Leim.
 
Das Verleimen der Einzelteile bedeutet immer einiges an Wartezeit. 
Schachteln, die mittels einzelnen Papierschichten auf Model hergestellt wurden, hatten noch längere Trockungszeiten, so mußte jede einzelne Papierschicht in einer Trocknungskammer komplett durchtrocknen. Eine solche Schachtel herzustellen, veranschlagte nicht selten fünf Tage.

 



Für den Boden der Schachtel verwendete ich Makulatur aus einem anderen Projekt. Das Papier wird mit Stärkeleim aufgeklebt, den man auch Fischleim nennt (er hat aber nichts mit den schuppigen Tieren in Gewässern gemein)


Für die Rundung des Deckels habe ich schmale Pappstreifen von 3mm Stärke zugeschnitten und an den Kanten aufgeleimt (siehe rechte Seite des Deckels). Nach der Trockung wurde dann noch eine Pappe von 1mm Stärke darüber gespannt (siehe linke Seite des Deckels).


Und nach langen Tagen des Leimens und Trocknens, war die Schachtel endlich für das Papier bezugsfertig. Ihre Maße sind in etwa 50 x 40 Zentimeter und damit bietet sie ordentlich Platz.


Während ich die Außenseite mit grünem, geäderten Kleisterpapier aus eigener Herstellung bezogen habe, entschied ich mich für ein schönes nachgedrucktes Papier der 1790er Jahre aus meiner Sammlung für das Innere des Köfferchens.
Zunächst wurde das Äußere (bis auf die Deckelwölbung und die Rückwand) verkleidet, dann das Innere.
Das überstehende Blatt dient später als Verbindung des Deckels mit der Schachtel.
Zuletzt werden Deckel und Rückwand außen mit einer Bahn Kleisterpapier überzogen und so die beiden Schachtelteile miteinander verbunden.

 


Kennzeichnend für viele dargestellte Schachteln sind die Schmuckborten.


Details des Bezugs und Kleisterpapiers, sowie eine Kopie nach Pietro Santi Bartolis Zwei Frauen an einem Opferalter, 2.Hälfte 17.Jahrhundert





Der geöffnete Deckel wird von rosa Seidenbändern gehalten, die hinter dem Bezugspapier verklebt und kaschiert wurden.

Auch im Arbeitszimmer bzw Zeichenzimmer dürfen Schachteln nicht fehlen!

Fréderic Cazenave nach Louis Léopold Boilly, L'étude du dessin (Quelle: The Clark)

...überhaupt, Schachteln kann man nie genug haben!