Montag, 25. Juli 2016

Was zierte die Braut, wenn 1795 die Hochzeitsglocken läuteten?

Die letzten Wochen in meiner eher unfreiwillgen Eremitage mit unserer kranken Katze, haben mir leider nur wenig Zeit und Muße zum Nähen beschert, dafür aber viel Kurzweil beim Lesen und Recherchieren.
Einige Fundstücke sind hoffentlich auch für den interessierten Leser von Bedeutungen, weshalb ich sie nicht vorenthalten möchte.
Wie so oft nahm eine Suche eine unerwartete Wendung und führte mich abseits der bekannten Journale zu der Publikation Allgemeines Europäisches Journal, welche monatlich in den Jahren 1794 bis 1798 erschien.
Der Herausgeber war Joseph Georg Trassler (1759 - 1816), der zu jener Zeit als Buchdrucker, Buchhändler und Verleger in Brünn tätig war.
Was die Kupfer betraf, bediente er sich gerne (wie damals durchaus üblich) bei anderen Journalen der Zeit, wobei seine Publikation vom Aufbau sehr viel Ähnlichkeit mit dem Leipziger Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode hat. Neben Neuigkeiten aus ganz Europa sind zwei Modekupfer und Stoffproben fester Bestandteil seiner monatlichen Schrift gewesen.
Wirklich wunderbar sind die Texte, die es zu den herrlichen Modekupfern gibt.
What would a bride wear upon the ringing of the wedding bells in 1795?
The past few weeks of my unintended hermiatge with our recuperating cat, left me with only little time and leisure for sewing, instead I thoroughly enjoyed reading and studying.
Some of my finds are probably also valuable for the interested reader, hence I'd like to share them.
Like many times before I was actually searching for something completely different, when I went down a road less travelled by the common journal finds to a publication named Allgemeines Europäisches Journal, which was publish monthly between 1794 to 1798.
The publisher was Joseph Georg Trassler (1759 - 1816), who worked as a printer, book-seller and publisher in Brünn.
Regarding the plates, he would often derive them from other journals (as it was common back then), while the composition of his journal has lots in common with the Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode in Leipzig. Beside from news all over Europe, he delievered two fashion plates and a fabric sample page.
The descriptions of these are truly an amazing read, beautifully expressed.

Ein besonderes Schmückstück ist sicherlich der Modekupfer samt Beschreibung einer Hochzeitsgarderobe vom Dezember 1795. Auf diese Weise hatte ich das zuvor in keiner anderen Quelle gelesen.
A true gem is the fashion plate and description of a wedding ensemble from December 1795. I've never read a detailed source about that before.
1795, Dezember, XII, Tafel I, Allgemeines Europäisches Journal, J.G. Trassler, Brünn (Quelle/source: New York Public Library via Hathi Trust Digital Library, digitalised by google)
Ein herrlicher Modekupfer von einer Dame und einem Herrn. Dank des Begleittextes erfahren wir,  hier handelt es sich um ein Hochzeitspaar - und es ist selbstredend nach der neusten Mode gekleidet.
A stunning fashion plate of a gentleman and a lady. The description reveals, we do look at a wedding couple - and it is certainly dressed in the latest fashion.

1795, Dezember, XII, Moden, Allgemeines Europäisches Journal, J.G. Trassler, Brünn (Quelle/source: New York Public Library via Hathi Trust Digital Library, digitalised by google)
Transkription:
No. I Am Tage der Hochzeit erscheint der Bräutigam bei seiner Braut, um sie zur Trauung zu führen. Beide sind in vollem Anzuge. Er trägt einen Frack von modefarbigem Tuche mit Knöpfen von Perlmutter, ein weißgesticktes seidenes Gillet, schwarzseidene Beinkleider, weiße Strümpfe und silberne Schnallen. Der ehemalige Zwang ist von der Mode auch hier entfernt. Die Braut ist in ungepuderter Frisur mit einem großen Kranz von Myrthen, Orangenblättern und Blüthen geschmückt. Das Kleid ist weißer Flor (auch Gaze, die dünnste aller Zeugarten, aus Seide, Baumwolle, Leinen oder Wolle (J.C. Bohn, Bohns Waarenlexikon)), unter demselben weißer Tafft. Die Turque ist mit kurzer Taille, wo die Nähte mit goldener Rundschnur und Quasten besetzt sind. Die Schleppe von demselben Flor zum Kleide gehörend, ist sehr lang, mit goldenen Schnüren und Quasten aufgebunden; der Rock mit einem gestickten Falbel (Saumrüsche) besetzt; die Schärpe von einem neuen ganz breiten Bande, a Guirlande singulaire, ist unter der Turque durchgenommen; die Garnierung des Kleides und Halstuches ist von breiten Blonden (besondere Spitze). Ein großes Bouquet und kleine Armschnallen vollenden den Anzug.
Translation:
No. I At the day of the wedding ceremony the groom arrives at the bride's home, to lead her to the wedding. Both are in Full Dress. He is waering a tailcoat (dresscoat, fraque) of fashionably coloured cloth with mother-of-pearl buttons, a monchrome white embroidered silk gilet, black silk breeches, white stockings and silver shoe buckles. The former restraint of fashion has also dissappeared here. The bride wears her hairdo unpowdered adorend with a wreath of myrtle, orange leafs and orange blossoms. The dress is white gauze, worn over white taffeta. The turque has a high waist, where the seams are embellished with golden ribbons and tassles. The train is also made of gauze, sewn to the bodice, it's very long, gathered and tied up with golden ribbons and tassles; the skirt is hemmed with an embroidered ruffle; the sash is made of a new wide ribbon, a Guirlande singulaire, and it's lead underneath the turque's bodice; the dress and the fichu are adorned with wide laces. A big bouquet and small arm rings complete the dress.

Der Begriff "Turque", der in dem Text verwendet wird, ist als Robe de Turque bereits im  18.Jahrhundert in Mode gewesen. Es handelt sich in der Zeit der Frühromantik um ein Kleidungsstück, das heute gemeinhin als "open gown" oder "open robe" zu finden ist. Ein - zumeist kurzärmeliges - Kleidunsstück aus Oberteil und angesetztem, offenem Rock, welches über dem eigentlichen Kleid getragen wird. Die vordere(n) Rockbahn(en) fehlt/fehlen (d.h es ist vorn offen und das Rockteil ist eher schleppenartig nur nach hinten ausgestellt). Das Oberteil wird zumeist durch einen Gürtel geschlossen oder unterhalb der Brust mit Nadeln zusammengesteckt.
Bemerkenswert ist der Hinweis auf die "kurze Taille", die sich zu jener Zeit allmählich durchsetzte.
The term "Turque", which is used in the description, has already popped up in the 18th century as Robe de Turque. During the period of Early Romanticism it's a garment that is often called "open gown" or "open robe". An - most often short sleeved - garment, made of an open bodice and an attached open skirt, worn on top of another dress. There's no skirt front piece (the front is open and the skirt's back falls like a train). The bodice is closed with a belt or pinned under the bust at the high waist. Remarkable is the mention of the high waist, which gradually starts to spread at that time.

Ich bin mir sicher, die modischen Hochzeitsgäste im Jahr 1795 zeigten sich begeistert!
I'm convinced the fashionable wedding guests would have approved this ensemble cheerfully!

Donnerstag, 21. Juli 2016

1796 Flor-Mantel (Omslagdoek/Sjall)

Manchmal hat das Leben andere Pläne als die, welche man sich mit eifriger Feder auf die schier endlos lange Nähliste geschrieben hat. 
Mila, die Muse am Nähtisch, mußte selbigen im Juni mit einem Kreuzbandriss räumen...und nicht nur das, mein komplettes Nähzimmer mußte ausgräumt und in ein Krankenzimmer verwandelt werden. Sechs lange Wochen Zimmerruhe wurden nach der Operation verordnet. 
Und was soll ich sagen, ohne Muse näht es sich sehr viel weniger beschwingt.
Sometimes life has different plans in mind than those you've written happily onto your oh-so-long sewing list.
Mila, my muse at the sewing table, literally fell of said table in June with a cruciate ligament rupture...which meant that I had to clear my sewing room and convert it into a sickroom.
Six endless weeks of little movement after her surgery.
And what should I say, sewing without your muse is simply not the same.
Endlich darf sie uns wieder Gesellschaft leisten. Auch die Haare an ihrem nackten Pudelbeinchen wachsen allmählich wieder.
Finally she's allowed to accompany me again. Her hair on her naked poodle leg is growing back nicely.

So viel zu meiner eher unfreiwilligen Blog - und Nähpause...aber ein bisschen genäht habe ich dann doch.
So much about my unintended blog - and sewing break...but I actually sewed a tiny bit.

1795, Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks, Blatt I (Quelle/source: Rijksmuseum)

Ein Kleidungsstück, das man oft auf Modekupfern oder Darstellung in der Zeit der Frühromantik sieht ist...ja, und da fehlte mir zunächst die korrekte Bezeichnung. Was genau ist das?!
Ein Schal, ein Umhang - sicherlich! Aber wie war die Bezeichnung damals?
Glücklicherweise erwies sich das Journal des Luxus und der Moden abermals als zuverlässige Quelle.
A garment, which is often seen in fashion plates and paintings of the era of early Romanticism...yes, but I lacked the propper term. What actually is it called?!
A shawl, a cape - surely! But what was it called back then?
Luckily the Journal des Luxus und der Moden was a great source once again.

1796, Januar, Journal des Luxus und der Moden, Tafel 3 (Quelle/source: thulb Uni Jena)
Und wie immer gibt es einen aufschlussreichen Text zu dem Modekupfer.
And again we also have an illuminating text to go with the plate.

1796, Januar, Journal des Luxus und der Moden (Quelle/source: thulb Uni Jena)
Transkription:
"...ferner einen Flor-Mantel mit breiten Blonden garnirt, mit doppeltem Zuge, und mit großen vorn herunter hängenden Enden."
Translation:
"...also a sheer mantel (cloak) with wide lace, double ties, and long ends hanging down the front."

Es gab allerdings auch noch eine eher winterliche Variante, die wie folgt beschrieben wird:
There was also a version for colder days, described as follows:
1798, Januar, Journal des Luxus und der Moden , Tafel 1 (Quelle/source: thulb Uni Jena)
1798, Januar, Journal des Luxus und der Moden (Quelle/source: thulb Uni Jena)
Transkription:
"..., ein wattirter Mantel von schwarzem Taft, mit Spitzen besetzt, hinten mit rundem Kragen, und vorn mit kleinen Klappen..."
Translation:
"..., a padded mantel (cloak) of black taffeta, garnished with lace, with a circled collar in the back, small flaps in the front..."

Mir schwebte eine eher sommerliche Variante aus Batist oder Mousselin vor und so machte mich auf die Suche nach Originalen.
Augenscheinlich gab es zahlreiche Varianten (ein Blick in Heideloffs "Gallery of Fashion" lohnt sich ungemein!), manche wirkten in der Konstruktion wie ein einfacher Schal, andere wiederum eher wie ein Umhang. Schließlich wurde ich auf der Internetseite des Modemuseums Open Fashion fündig, wo eines dieser Exemplare detailliert fotografiert zu sehen ist. Beste Voraussetzungen, damit einen Schnitt aufzustellen.
I planned on a summerly variation made of muslin or batiste and started to search for originals.
Apparently there were plenty of versions (A peek into Heideloff's "Gallery of Fashion" is highly recommended!), some looked merely like shawls, others were made with a slightly different construction, resembling capes/cloaks. Eventually I found a lovely original on the website of Modemuseum Open fashion. It was introduced with many detailed photos, which allowed to take a pattern.

1790-1810, Sjall/Omslagdoek ID OBJ34177 T12/964/A137 (Quelle/source: MoMu Open Fashion)
Das abgebildete Exemplar ist aus weißem Batist gefertigt und hat zwei Züge, sowie eine Rüsche ringsum.
The shown example is made of white batist, it has two ribbon channels and a ruffle.

Von den Modekupfern des Journals des Luxus und der Moden beeinflusst, entschied ich mich für schwarzen Schweizer Batist - ein großzügiges und sehr willkommenes Geschenk von Alessandra
Inspired by the plates in the Journal des Luxus und der Moden I decided to use black Swiss batiste - a generous and most welcome gift from Alessandra.

Die Kragenpartie wie beim Original mit Rüsche und einem Zugband. Das andere Band reguliert den Sitz der hohen Taille.
The collar is made according to the original with a ruffle and ties running through the collar line. The other ribbon regulates the fit at the fashionable high waist.

Mit hochgestelltem Kragen
With dropped collar.

Für den Kragen benötigte ich ca 1,50 Meter Rüsche, umlaufend für den Mantel nochmals etwa 6 Meter. das Verhältnis Saum zur Rüsche entspricht etwa 1:2
(Ich bitte die Katzenhaare zu entschuldigen!)
Um die Streifen der Rüsche zu verbinden wählte ich einen Stich, der es erlaubt, die Enden in einem Schritt zusammenzunähen und zu versäubern.
I took approx. 1,50 Metres for the collar ruffle, and about six more metres for the other seams. The relation seam to ruffle was about 1:2
(Please excuse the cat hair!)
To connect the stripes of the ruffle I've chosen a stitch, which connects and overcasts the fraying ends in just one step.

 Die Kanten werden schmal nach links umgeschlagen, ehe die Streifen rechts auf rechts zusammengeheftet werden. Die Nadel geht unter der Umschlagkante durch den Stoff und durchsticht die gegenüberliegende Seite...
Fold the edges to the left (the smaller, the better), then attach both pieces facing right side to right side. The needle runs under the folded edge, piercing it at the top and also piercing the opposite side...

...ehe sie dort wieder unter die Umschlagkante geführt wird.
...before it runs again under the folded edge.

So sehen die Stiche von der Seite und von oben aus. Der Faden umschließt dabei immer die Kante und verhindert so ein Aufribbeln selbiger.
This is what the stitches look from the side and the top. The thread always catches the whole edge to prevent it from fraying.

Selbstverständlich sollte ein wenig Zug auf dem Faden liegen, damit die Naht nicht zu lose ist, dann sehen die Stiche wie im oberen Bild aus.
Of course the thread should be pulled a bit, so that the seam isn't gapping, the stitches then look like as shown in the upper photo.

Der geöffnete Saum von links vor dem Bügeln (links) und danach (rechts). Die Naht liegt dann sehr flach und kann nicht mehr ausfransen.
The opened seam from the left before ironing (left) and after ironing (right). The seam is quite flat and cannot fray.

Der Saum von der rechten Seite.
The seam from the right side.

Die Außenkante der Rüsche wurde ringsum mit einem Rollsaum versehen.
The edge of the ruffle was roll-hemmed.

Um einen Rollsaum herzustellen, wird die Kante zunächst zur linken Seite umgebügelt und das möglichst schmal.
To do a roll hem, iron the edge to the left side of the fabric, as small as possible.
Man beginnt den Saum von rechts, indem man unter die umgeschlagene Kante einsticht und den Faden dann über die Kante nach unten führt, wo man den Stoff (möglichst nur einen Faden) durchsticht. So entstehen kleine "V"s entlang der Kante.
You start on the right end, piercing underneath the folded edge through the top, then run the thread over the folded edge and catch the fabric (only one thread is best). This way you create tiny "V"s along the hem.
Dieser Prozess wird wiederholt bis eine Reihe von Stichen vorhanden ist, dann wird das rechte Ende festgesteckt oder festgehalten und man beginnt vorsichtig am Faden zu ziehen. Auf diese Weise klappt der Saum zu und es entsteht eine schmale Kante:
This porcess is repeated until a row of stitches is achieved, then the right edge is fastened with a pin or with your fingers, before you carefully start to pull the thread. This way the seam magically folds into a small edge:

Auf diese Art wird weiter fortgefahren.
Then continue the whole hem.

Die zusammengeklappte (gerollte) Kante von links...
The folded (rolled) edge from the left...

...und der rechten Seite.
...and the right side.

Und dann kommt irgendwann der Lohn für die Mühen.
And finally you'll get the reward for all the labour.

Die perfekte Garderobe für einen sommerlichen Ausflug in das Jahr 1796.
The perfect wardrobe for a summerly stroll into the year 1796.


Die Rückenpartie habe ich nach dem Originalschnitt gearbeitet, man kann aber auch, wie im Journal des Luxus und der Moden von 1798 erwähnt, einen leichten Bogen im Rücken einarbeiten.
I stitched the back of the collar according to the original pattern, but following the Journal des Luxus und der Moden from January 1798 you might as well add a more scalloped shape in the back.