Dienstag, 1. Juni 2021

Ein roth seidener Parapluie

Vor geraumer Zeit hatte ich das Glück auf einem Antikmarkt einen schönen alten Seidenschirm zu erwerben. Leider waren die Jahrzehnte nicht spurlos an ihm vorübergegangen und eigentlich hatte er sich eine Restaurierung verdient, allerdings haderte ich ob des Stoffes, denn die Suche nach entsprechender Seide, mit den für Regenschirmen so typischen Streifen, war ergebnislos verlaufen.
Der Regenschirm verschwand gut verpackt im Schrank, bis er mir vor ein paar Wochen bei recht regnerisch kaltem Wetter durch Zufall wieder in die Hände fiel.
In all den Jahren war es mir nicht gelungen, den gewünschten Stoff aufzutreiben, der so dringend benötigt wurde, denn flicken konnte man den Bezug nicht mehr...er hatte unzählige kleine Löcher und Fehlstellen an der Spitze und am Rand, die schon viel zu oft ausgebessert worden waren.
Vom regnerischen Wetter, dem Wunsch nach einem Regenschirm und einer Portion Übermut getrieben, entschied ich schließlich, den Stoff einfach selber nach meinen Vorstellungen zu nähen.

Im Journal des Luxus und der Moden im September des Jahres 1802 (Quelle: https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00087249), wird ausführlich ein wasserdichter Stoff vorgestellt, den Rudolph Ackermann in London entwickelt hatte.
Und auch in Gottfried Christian Bohns Waarenlager, 1806 Hamburg, findet sich der Hinweis auf einen wasserabweisenden Seidenstoff.
1806, Gottfried Christian Bohns Waarenlager, oder Wörterbuch der Produkten-und Waarenkunde (Quelle: googlebooks)

Transkription:
[...]Wachstaffent wird nach Art der Wachsleinwand bereitet und dient zu Kappen, Regenmänteln, Sonnen- und Regenschirmen.[...]

Leider ist es mir nicht gelungen einen solchen Stoff zu bekommen und ich habe mich auch dagegen entschieden, den Stoff selbst zu wachsen, denn immerhin umfasste die Lieferung 2 Meter rote Seide und einen Meter gestreifte Seide.

In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, wie weit verbreitet Regenschirme eigentlich waren, besonders in den 1790er Jahren. Im Gegensatz zu den kleinen Parasols nehmen sich die Regenschirme oder Parapluies in Sammlungen eher rar aus, aber damals müssen sie bei Regen - zumindest in den großen Städten - durchaus für einige Farbtupfer gesorgt haben.

In Wochenblättern und Journalen tauchen in den Intelligenzblättern, Miscellen und Bekanntmachungen vielfach Werbungen der Schirmmacher und Parapluiefabrikanten, sowie Gesuche jener bedauernswerten Geschöpfe auf, die ihre Schirme haben stehen lassen.

1795, Frankfurter Frag-und Anzeige-Nachrichten (Quelle: googlebooks)
Transkription:
[...] Am verwichenen Mittwoch, hat ein Knabe einen seidenen Parapluie Couleur de Puce irgendwo stehen lassen, der redliche Besitzer wird gebeten, solchen gegen ein angemessen Douceur in der Saalgasse abzugeben [...]

1795, Frankfurter Frag-und Anzeige-Nachrichten (Quelle: googlebooks)

 Transkription:
[...]Es ist verwichenen Sonntag Abend auf der Schneidmühle im Garten ein ganz neuer roth seidener Parapluie stehen geblieben; der redliche Finder, welcher solchen in verwahrung genommen, wird sehr höflichst gebeten, selbigen auf das Nachrichtskomtor zu überbringen, und dagegen ein raisonables Douceur zu empfangen[...]
 
Seufz, das ist wohl - damals wie heute - das immerwährende Schicksal von Regenschirmen, denn dererlei Gesuche finden sich recht häufig. Es werden Schirme aller Couleur erwähnt. Außerdem finden sich Anzeigen, in denen darauf hingewiesen wird, dass der Regenschirm monogrammiert war. 

Ein Blick weiter südlich verrät uns das Angebot eines Schirmmachers aus Zürich im Jahr 1791/92:
1791/92 Donnerstags-Blatt, Zürich (Quelle: googlebooks)

Transkription:
[...]Heinrich Müller der Schirmmacher an der Schmiedgaß, thut einem ehrenden Publikum bekannt machen, dass er diese Messe über feil hat bei Hrn. Hauptm. Rordorfs Laden auf dem Münsterhof; er macht  und verkauft aller Gattung schwarze feine wachstüchene Schirm, so wohl gebogne als flache, auch wichst und repariert er seidene Schirm, und aller Gattung Sonnenschirm, neue und alte; er wird trachten die genauesten Preise zu machen, und bittet um geneigten Zuspruch. Bei ihm und bei Herrn Hagenbuch in seinem Laden unter der Laternen sind das ganze Jahr neue Schirme zu haben[...]

Bedauerlicherweise konnte ich meinen Schirm nicht bei Herrn Müller und Herrn Hagenbuch flicken lassen oder bei einem der vielen Schirmfabrikanten einen neuen Regenschutz bestellen, also nahm ich Maß an meinem Schirm und dem ehemaligen blauen Bezug für einen neuen Zuschnitt. Allerdings mußte der Stoff für das Patron vorbereitet werden, das bedeutet das Annähen des Streifenrandes an der unteren Kante.
  
  




Beim Vernähen der roten Seide bildete die Nahtkante den Saum, denn diese franst nicht aus und verdeckt später die zugeschnittene Kante des Streifenrands.

Bei diesem "Anstückeln" ließ ich größte Sorgfalt walten, damit der Stoff später wie ein komplett gewebtes Stück wirkt.
Der Schirmbezug besteht aus neun Panelen, die etwa 50 Zentimeter breit und zirka 70 Zentimeter hoch sind. 

Die fertig zugeschnitten Panelen wurden am oben Rand ebenfalls mit einem kleinen Streifen versehen, ehe ich sie mit Rückstichen zusammengenäht habe.


Vor dem Aufziehen auf das Schirmgestell, fertigte ich ein Tuch aus Leinwand, welches den Bezugsstoff vor der Reibung an den Stäben schützt. Ich hielt mich hier an das Original:

Wie man sieht wurde das Leinen nach innen zum Gestänge mit Wachs und Leim behandelt, um es widerstandsfähiger zu machen.

Nach dem Aufziehen blieb schließlich noch das Band, mit dem der Schirm geschlossen wird. Ich hatte noch einen alten kleinen Beinknopf und webte die Kordel aus sieben feinen Garnfäden.


Die Näharbeiten waren ein wenig aufwändig, aber haben zu dem Ergebnis geführt, welches ich mir seit Jahren (!) erhofft hatte:

Endlich erstrahlt der Regenschirm wieder in seiner alten Pracht...ich muß nicht erwähnen, dass es seit der Fertigstellung nicht mehr geregnet hat, oder?!
Aber keine Angst, den werde ich sicher nicht versehentlich irgendwo stehen lassen!




Die Spitze fehlte leider bei meinem Schirm. Bis ich irgendwann durch einen glücklichen Zufall vielleicht ein Original entdecke, begnüge ich mich mit dieser gelöteten, konisch zulaufenden Messinghülse.



Der Vergleich von Parapluie und Parasol. Das kleine cremefarbene Sonnenschirmchen wurde wieder hergerichtet durch Antonia von Parasol & Co.
 

 


"Was machen Sie?
Nichts.
Ich lasse das Leben auf mich regnen."
(Rahel Varnhagen 1771 - 1833)