Der Januar 1801 wird als beständig kalt beschrieben (Ph.Stieffel, Witterungskunde, 1842) und wir können uns vorstellen, wie die zumeist weiblichen Subskribenten in ihren warmen Stuben immer wieder ungeduldig den Blick durch die Eisblumenberankten Fenster taten und die Ankunft der morgendlichen Post herbeisehnten. Gegen Ende des Monats wurde das Journal des Luxus und der Moden in die Haushalte verschickt.
Heute darf ich meine Leserschaft dazu einladen, gemeinsam mit den Damen einen Blick in das neue Heft zu werfen und Modeneuigkeiten aus Paris und Frankfurt zu bestaunen. Nachdem das Journal des Dames et des Modes in Paris bereits ausführlich über Haydns Schöpfung berichtet hat, möchte ich den Bericht des Journals des Luxus und der Moden nicht wiederholen, sondern gleich mit den Pariser Moden beginnen. Wir werden dabei Kuhpocken und Bäuerinnen mit unebenen Bärten begegnen.
January 1801 was described as constantly cold (Ph.Stieffel, Witterungskunde, 1842) and we might imagine how the mostly female subscriber peek through the icy windows, impatiently waiting in their warm chambers for the arrival of the daily mail. At the end of the month the latest issue of the Journal des Luxus und der Moden was sent.
Today I may invite my readers to take a glance into the January issue and marvel over the latest fashions from Paris and Frankfurt, just like our ancestors probably did. After the Journal des Dames et des Modes already reported in depth about Haydns oratory The Creation, I won't share the revision of the Journal des Luxus und der Moden, but begin with the Parisian fashion news. We will encounter cow pox and female peasants with uneven beards.
Journal des Luxus und der Moden
Januar 1801
(Herausgeber/Verleger Friedrich Justin Bertuch, Weimar)
(Quelle/source: Heinrich Heine Universität Düsseldorf Universitäts- und Landesbibliothek)
VIII. Modenbericht
1. Aus Paris
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/2002977
Transkription:
[...]Die Kälte hat endlich doch über die halben und ganzen Nacktheiten gesiegt. Man hat endlich die Douilletten (*1) und Winterüberröcke vorgesucht. Auch die Palatinen (*2) sind wieder erschienen. Aber bis zu den Müffen verirrte sich keine unserer Schönen vom neuen Datum. Neben den Demi-Capotes und Demi-turbans, Tocken und anderen Hauptzierden zeichnet sich eine Art allerliebster Hütchen aus, welche bei Mme Lorey (die nächste der berühmten Lisfranc) a la corbeille galante, im Palais des Tribunats N.202 wo sie ihr Magazin hat, zuerst zu kaufen gewesen sein sollen, und was selten der Fall ist, eine gewisse Allgemeinheit erhalten haben, ohne doch sogleich in den oberen Regionen verrufen zu werden. Sie bestehen aus schuppenförmig ausgeschnittenen und übereinander geleimten Atlasschnitzeln, die, bei Lichte Abends, recht viel Ähnlichkeit mit Perlmutter haben. Man nennt sie a la Anadyomené der Venus zu Ehren, die einst aus dem nassen Reiche der schuppigen Seebewohner emporstieg. An den Sautoirs oder großen Halsketten trägt man unten in den Medaillons häufig goldene und brillantierte Uhren. Die Schnällchen an den Schuhen und Gewändern sind ganz verschwunden. Aber noch erhielt sich die Rautenform (en losenges) besonders auch in den aufgeleimten Verzierungen, Kanten und Bordüren von Samt und Atlas, die man jetzt allgemein unter dem Modenamen Applications verfasst.
Die große und menschenfreundliche Erfindung der Kuhpockenimpfung, die, seit der wackere Londoner Arzt Woodward frisches Kuhpockengift mit nach Paris gebracht hat, so große Fortschritte machte, dass selbst die Ungläubigsten dieser Erfindung ihre Huldigung nicht mehr verweigern, ist nun auch in den Mund der Modisten und Costumiers übergegangen. An der Stelle der geriffelten und raupenförmig gewundenen (canlées, chenillées) Bänder sind wieder die gemuschten (*3) getreten. Diese heißen nun aber allgemein von der Kuhpocke (Vaccine) oder mit Kuhpocken getüpfelte (vaccinés). So nennt man auch die Hüte von weißen oder farbigen Atlas mit schwarzen Samtmuschen a la vaccine. Tortz des schlechten Wetters wollen die Schuhe mit hohen Absätzen (a talonnieres) nicht wieder in Aufnahme kommen. Dagegen fängt man weit allgemeiner an, in den niederen Stande der englischen Pattens sich zu bedienen.[...]
VIII. Fashions
1. From Paris
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/2002977
Translation:
[...]The cold finally has defeated the whole and half nudity fashion. Eventually the douillettes (*1) and winter redingotes have returned. Also the palatines (*2). But the muffs did not find back the popularity among the modern ladies. Next to the demi-capotes, demi-turbans, toques and others another kind of lovely little hat made it's appearance first at Mme Lorey (the next famous Lisfranc) a la corbeille galante, at Palais des Tribunats No.202, and they became quite popular, amazingly enough without being decried by the upper classes in return. They are made of fish scale shaped pieces of satin, cut out and glued on overlapping, which results in an illusion of mother of pearls in the evening light. They are called a la Anadyomené in honour of Venus, who once rose from the watery kingdom of the sea.
The sautoirs or long neck chains now sport a little gold or brilliantine watch in the medaillon. Buckles at the shoes or on garments are entirely out of fashion. Still the lozenge shape (en losenges), especially in glued-on decorations, borders and edges of velvet and satin, now commonly called applications, are very fashionable.
The great and philantrophic invention of the cow pox vaccination, which, after being introduced by the London Doctor Woodward, has made huge progress even among non-believers, now also entered the hungrey mouths of milliners and costumers. The furrowed and catarpiller-like (canelées, chenillées) ribbons, have been again replaced by the plushed ones. They are now called cowpox (vaccine) or dotted cow pox (vaccinés). The same name is chosen for hats of white or coloured satin with black velvet plush a la vaccine.- Despite the bad weather shoes with heels (a talonnieres) remain out of fashion. Instead even the lower classes use English pattens.[...]
An 9, Journal des Dames et des Modes, Costume Parisien, No.263 (Quelle/source: Rijksmuseum Collection) |
An 9, Journal des Dames et des Modes, Costume Parisien, No.263 (Quelle/source: Rijksmuseum Collection) |
Der im Text des Modenberichts erwähnte Chapeau a la Anadyomené, im Costume Parisien Kupfer No.263 schlicht als "2. Chapeau de Satin" bezeichnet.
The mentioned hat from the Fashion news Chapeau a la Anadyomené, in the Costume Parisien print simply named as "2. Chapeau des Satin"
VIII Modenbericht
2. Aus Frankfurt
Transkription:
[...]Sehen sie zu, was Ihnen unter den folgenden Mustern am besten gefällt. Statt der Schneeflocken, die diesmal der Christmonat nur sehr spärlich ausgestreut hat, fielen aus seinem Horne allerlei Fantasiegestalten neuer Aufsätze, Toquets und Hüte zu Concerts und Winterassembleen für unsere schönen Leserinnen. Ich bin so glücklich gewesen, einige davon im Fluge aufzufangen, und teile nun von meinem Fang so viel mit, als sich auf gut Glück auffassen ließ. Sie sehen auf beifolgender Mustertafel (Taf.1) zwei Büsten und vier Muster. Die Büste No.1 hat eine Haube von feinem Linon (eine Paisane) Bandschleifen, Besetzung von schmalem Atlasbande mit Ausschnitte a la van Dycke. Halstuch von Lilla-Flohr mit breiten schwarzen Spitzen besetzt. Die zweite Büste trägt eine Haube (Negligé) von Gaze mit doppelten gelben Band-Puffen (en tulle oder en coque) garniert, die Enden (oder die Spitzenflügel) gehen unter dem Kinn weg und werden zur Linken mit einer kleinen Schleife gebunden. Kleines einfaches Halstuch von Rosa-Flohr - oder Taft - mit silbernen Schnüren besetzt, an den Enden silberne Quasten. Gehen Sie nun auch noch mit mir die einzelnen Aufsätze durch. Sie finden hier No.3 eine Morgenhaube von Lilla-Atlas, Besetzung und Schleifen von schmalen schwarzen Samtbändchen; diese Haube kann hinten mit einem Zug gerichtet und fest gesetzt werden, vorn herum wird sie mit einer breiten, ins Gesicht fallenden schwarzen Spitze besetzt.
No.4 eine Paisane von Linon oder Musselin mit gekepertem (*4) schmalen Band besetzt, durch ein schönes Rosenbouquet geziert, welches zur Rechten angeheftet wird. No.5 eine Capote von weißem Atlas, mit geschwefelten (gaufre) (*5) Band mit Goldfaden besetzt, ein von hinten über den Kopf zur Linken fallendes Flortuch wird eingesteckt, zur Rechten steigt eine breite Schwungfeder empor. Endlich sehen Sie auch noch No.6 eine Capote von weißem Linon, mit gauffrierten (*5) Band besetzt, und mit Bandschleifen geziert.[...]
2. From Frankfurt
Translation:
[...]Please have a look, what you will favour from the following varieties. Instead of snowflakes, which the past December has hardly offered, the cornucopia of fashion has spread new headwear, toquets and hats for the concerts and winter assemblees for our beautiful ladies. I'm quite happy to have caught some of them and now I'd like to share my catch. On the following fashion print (Taf.1) you'll find two busts and 4 varieties. The bust No.1 shows a cap of fine linon (en paisane), ribbon ties and decoration of small satin ribbon, cut a la van Dycke, a fichu from liliac silk gauze with wide black laced edging. The second bust wears a cap (Negligé) of gossamer with doubled yellow ribbon puffs (en tulle or en coque), the ends (or the wings) come under the chin and are tied on the left. Plain rose coloured fichu made of gauze or taffeta, adorned with silver ribbons and with silver tassels on the edges. Now we have a look at the remaining varieties. No.3 is a morning cap made from lilac satin, the decoration and ribbons are made of black velvet; this cap can be adjusted with a ribbon in the back, the front is embellished with black lace. No.4 a paisane from linon or muslin with a small crimped ribbon and a lovely rose bouquets worn on the right. No.5 a capote of fine satin, with sulphurated (gaufre) (*3) ribbon adorned with gold thread, a gossamer square is attached, which falls to the left front, on the right a big plume. And finally No.6, a capote of white linon, with sulphurated ribbon and small ribbon ties.[...]
1801, Januar, Journal des Luxus und der Moden, Kupfertafel 1 (Quelle/source: Heinrich Heine Universität Düsseldorf) |
[...]Ich lege Ihnen auf einer anderen Tafel (Taf.2) noch eine Figur in voller Größe bei, und wünsche, dass auch diese nach Ihrem Geschmack sein möchte. Unsere junge Dame trägt einen weißen Atlashut mit rosa Bandschleifen davon die Enden unterm Kinn weglaufend zur Linken in eine Schleife gebunden sind. Zur Linken steigt ein Bouquet von gelben Rosen empor. Sie trägt kurzgeschnittene, ungepuderte Haare oder eine Perücke mit tief ins Gesicht fallenden Löckchen (crochets). Ihr Anzug besteht in einer Tunika von weißem Musselin mit rosa Band eingefasst. Die obern kurzen Ärmel sind aufgeschlitzt (tailladé) mit rosa Atlas dazwischen. Diese bis and die halben Füße reichende Tunika ist vorn offen; die linke Seite ist in ein langes, spitziges Ende geschnitten, welches in der rechten Seite durch das Band, das unter der Brust wegläuft, durchgezogen wird, an der herum fallenden Spitze hängt eine rosa seidene Quaste. Der Rock ist von weißem Musselin mit einem breiten Saum eingefasst. Sie trägt gelb englische lederne Handschuhe; Rosa seidene Schuhe mit Gold gestickt, und mit rot lackierten Stäben.[...]
[...]I add a full figure print (Taf.2) next and hope, that it will match your taste in fashion. Our young lady is wearing a hat made of white satin with rose-coloured ribbon ties, which ends run around the chin and are gathered in a big tie on the left. On the left a bouquet of yellow roses rises. She has her hair or wig cut rather short, un-powdered with curls (crochets) running deep into the face. Her dress is a tunic of white muslin bound with rose-coloured ribbon. The upper sleeves are cut opened (tailladé) and faced with rose satin. The tunic runs down to the feet and is open in the front; the left side is cut into a narrowing edge, which is tucked under on the right side beneath a band that runs around the high waist, on the tip of the edge is a rose silk tassel. The skirt is made of white muslin bound with a wide hem. She wears yellow English kid gloves; rose silk shoes embroidered with gold and red coloured straps.[...]
1801, Januar, Journal des Luxus und der Moden, Kupfertafel 2 "Paysanne a barbe inegale"(*6/*4) (Quelle/source: Heinrich Heine Universität Düsseldorf) |
Anmerkungen:
(*1) Douilletten: ein winterlich gesteppter Oberrock aus Seide
(*2) Palantine: ein wärmender Schulterumhang
(*3) gemuscht: aus (Seiden-)Plüsch
(*4) gekepert entspricht gekreppt
(*5) geschwefelt bezieht sich hier auf den gelben Farbton
(*6) Paysanne a barbe inegale bedeutet übersetz "Bäuerin mit ungeradem Bart" und nimmt Bezug auf die ungewöhnliche Art, den Zipfel des Kleides an der Taille unterzuschlagen
Annotations:
(*1) Douillettes: silk outerwear with a quilted warm interior
(*2) palantine: a warm woolen pelerine
(*3) sulphurated solely is meant to be yellow coloured
(*4) Paysanne a barbe inegale means "Female peasant with an uneven beard" and desvribes the way how the dress is worn with the tucked in front
Ein kleiner Einblick in die Moden, welche den Damen in Januar 1801 vom Weimarer Journal vorgschlagen wurden. Wie es in den Straßen von Paris zuging, teilt uns Alessandra mit!
A peek into the fashions, which the ladies were recommened by the Journal des Luxus und der Moden in 1801. The latest fashions from Paris are over at Alessandra's blog!