Sonntag, 29. Dezember 2013

Von Vorsätzen und Vorstichen am Nähtisch...oder: basics to bliss!

Ein Blick zurück, 
wie rasch sich wieder einmal das Jahr dem Ende neigt, der Kalender Blatt um Blatt ausdünnt und sich der Jahreskreis schließt. 
Zeit der Besinnung mit dem Blick auf das Wesentliche.
Aber was verbirgt sich hinter dem Wesentlichen in unseren Tagen? 
Eine Welt, die immer schneller wird, in der uns immer mehr lästige Arbeit durch Maschinen abgenommen wird, um uns mehr Muße zu gönnen – ein Trugschluß! 
Wer hat schon Zeit oder nimmt sie sich?
Wir bedienen Knöpfe im Haushalt, Hebel in den Werkhallen und preisen die Geschwindigkeit der Maschinen mit ihren identischen und perfekten Produkten: makellos.
Mitunter führt das seltsame Blüten: zunehmend überlässt man Maschinen selbst das Denken und sehnt sich nicht nur nach der faden Perfektion der Produkte, sondern möchte auch den eigenen Körper unter dem chirurgischen Messer der Konformität angleichen lassen.
Perfektion, Makellosigkeit, Geschwindigkeit, die Errungenschaft der Industrialisierung.
Retrospectively 
 we realize how quickly this year came to an end, how the calender gets thinner sheet by sheet and how the year’s seasons come full circle. 
Time for reflection with a sense for the essence.
But what actually is the essence in our hustle’n’bustle times?
A world that gains more and more pace, while machines carry out cumbersome labours to give us more idleness – a fallacy! 
Who has time or takes it’s time today?
We use buttons in our households, levers in the factories while praising the speed of the machines with their identical and always perfect products: flawless.
This has caused odd developments: there’s an increasing tendency to leave thinking and decisions to machines and some do not only strive for the bland perfect products, but desire to alter their own body under the surgeon’s tools into equality and conformity.
Perfection, the state of being flawless, speed, that’s the achievements of industrialisation.

Vielleicht behagt mir gerade aus diesem Grund der Sprung in die Zeit vor der Industrialisierung.
 Eine Zeit, in welcher der Wunsch nach Gleichheit eher dem Streben nach Gerechtigkeit entsprach, nach Emanzipation der Klassen und Geschlechter.
Die Perfektion der gefertigten Produkte lag in dem, was die eigenen Hände und ein wacher Verstand schaffen konnten! 
Einzigartigkeit!
Maybe that is the reason I favour to leap into the period of the pre-industrialisation. 
A time, where the yearning for equality rather referred to the pursuit of justice, the equality of classes and genders.
The perfection of a product, was the result of one’s hands and acuteness of mind! 
Uniqueness!

 (Quelle/source: Rijksmuseum Amsterdam)

 1795, Roundgown, Italy, Inventory Number(s): AC9124 1994-14-2

1811, Ball gown, British C.I.66.38.1a, b

1800, Woman's Dress, M.2007.211.867
(Quelle/source: LACMA)


 Ist das nicht wirklich beeindruckend?
Nur zwei Werkzeuge 
sind erforderlich, um die kühn erdachten Kleidungsstücke aus einer Bahn Stoff und Garn zu verwirklichen.
Das eine ist buchstäblich ein Glückgriff der Natur: 
unsere Hände
Und das andere ist eines der wunderbarsten Werkzeuge überhaupt -
klein, preiswert und dabei unendlich vielseitig:
eine Nähnadel
Isn't it utterly impressive?
Basically two tools only 
are required, to stitch boldly conceived garments from a yardage of fabric and some thread.
One is a lovely natural gift: 
our hands 
And the other is the most amazing tool ever -
small, usually low priced, yet very versatile: 
a sewing needle
 1801/02, Jens Juel, Regine Sophie Tutein og søn (Detail)
(Quelle/source: Lauritz.com)
Und wenn wir uns dieser beiden wundervollen Werkzeuge besinnen, dann gesellt sich still und leise auch eine weitere verloren geglaubte
Eigenschaft hinzu: 
die Entdeckung der Langsamkeit!
Liebe Leser,
 Legt einmal nur das Bündel der Eile ab und nehmt eine Nadel in die Hand. 
Lasst euch nicht vom modernen Zeitdruck treiben oder davon beeindrucken, welch unglaubliche Mengen eine Nähmaschine bewältigt.
Nehmt den herrlichen Stoff in die Hand, führt die Nadel und lasst 
  euch um Himmels Willen nicht einschüchtern von vermeintlich zu großen oder schiefen Stichen, sondern freut euch über die Einzigartigkeit, 
die ihr schafft!
Die Mühe, die in das entstehende Kleidungsstück fließt, schärft das Auge für einen guten Schnitt, für den passenden Stoff, die stimmige Farbwahl und die Details.
Und auf diese Weise näht ihr nicht nur ein historisches Kleidungsstück nach, sondern taucht auch für einen Augenblick in eine Zeit, in der noch niemand vom gehetzten Takt der Maschinen, konformen Nähten und Massenartikeln ahnte, sondern in der galt: 
‚Mein Kleid ist einmalig!“
And if we realize these two stunning tools, another thought- to-be-dwindled trait magically appears: the discovering of slowness.
Dear readers,
Please, just once put away the bundle of haste and get armed with a sewing needle in your hand. 
Do not feel urged by due dates or be overly impressed about the quantities that a sewing machine could handle. 
Fetch the fabric with your hands, direct the needle through the fibres 
and for heavens sake do not let yourself be intimidated by assumedly too large or otherwise awkward stitches,
 but enjoy creating one of a kind! 
The labour, which runs into the garment, sharpens the senses for a good pattern, a proper fabric, the choice of colours and all the details.
This way you do not simply re-create historical clothes, but delve for a rare moment back into a time, where there was no clue of the clock pulse of machines, identical seams and mass production, but instead: 
‘My dress is utterly unique!”
Wer noch mehr über diesen Ansatz zum historischen Nähen erfahren möchte und noch an einigen Vorsätzen für das kommende Jahr feilt, dem seien zwei interessante, detailreiche und inspirierende Beiträge von lieben Weggefährten ans Herz gelegt:
For those who'd love to learn more about this approach to historical sewing and who are still busy pondering on new year's resolutions, I'd like to direct to the following interesting, detailed and inspiring blogposts from fellow historical seamstresses:
und/and 

Freitag, 27. Dezember 2013

Ich lass' mir in die Karten schauen!

Lange, dunkle Wintertage mit Abenden bei Kerzenschein vermitteln heutzutage leicht ein Bild von Romantik, wobei man rasch darüber hinweg sieht, 
dass mit diesen Tagen damals nicht selten auch Kälte und öder Trübsal einhergingen, vor allem wenn der Schnee einen dazu zwang im Haus zu bleiben und Besuch fernblieb.
Was blieb, war die Sehnsucht nach heiterem Beisammensein. 
Feste, Salons und Geselligkeiten in hell erleuchteten Stuben, mit reich gedeckten Tischen. Stimmengewirr und ausgelassene Heiterkeit.
Und wenn nach den Stunden des Schmausens und Disputierens über Theater, Moden und Politik und noch mehr Klatsch, die Tische geräumt wurden, hielten nicht selten die Karten Einzug!
Was für eine angenehme Art, einen Abend ausklingen zu lassen und vielleicht die Brieftasche zu nähren...oder zu erleichtern...
Oh, das verteufelte Kartenspiel! 
Vom Ruin anständiger Charaktäre zeugen unzählige Karikaturen.
Long, dark winter days with evenings lit by candle lights, quickly nourish our idea of romanticism, while often ignoring,
that these bygone days also meant chill and bland misery, especially when snow forced to stay at home with no prospect of visitors.
What remained was lamenting and the never ceasing yearning for gregariousness.
Feasts, circles and assemblees in candle lit rooms, food galore on the tables.
Charivari and gaiety.
And after hours of banquetting and chats about theatre, fashion and politics and even more gossip, the tables were cleared away and the card games took over their reign!
What a delightful way, to crown a perfect evening and stuff the purse...or relieve it from the weight of  banknotes...
Oh, that cursed deck of cards!
Plenty of caricatures tell from the ruin of  once respectable characters.


Loo, Faro, Whist, Skat  und viele andere Spiele eroberten die Abende.
Und noch heute sind die liebevoll gestalteten Spielkarten ein Augenschmaus und versetzen einen sogleich in Spiellaune!
Umso erfreuter war ich, als ich einen wunderschönen Reprint eines Kartenspiels von 1799 entdeckte, dessen Ursprung ein wenig im Dunkeln liegt.
Loo, Faro, Whist and Skat and many other games conquered the assemblees.
Even today those bygone decks of cards are a delight to the eye and struck us with the wish to gamble!
I was truly happy, when I've found a lovely 1799s deck of cards reprint, which history is a bit obscure.

Reprint des 1799er Kartenspiels von Edward Hawke Locker
reprint of the 1799s deck of cards of Eward Hawke Locker

Die Gestaltung und Ausarbeitung der Karten werden Eward Hawke Locker (1777 - 1849) zugeschrieben, denn auf einem Blatt ist seine Signatur zu finden.
Das einzig existierende Original ist im Besitz von Ms Sylvia Mann, die ihren Kartensatz in den 1970er Jahren für den Reprint bei der Edition Leipzig zur Verfügung stellte.
Den Karten ist ein zwei-sprachiges (deutsch/englisch) Leporello beigefügt, in dem ein wenig zur Geschichte Lockers und der Kartenblätter erklärt wird.
Das Kartenspiel besteht aus 52 Blatt und ist somit für alle gängigen Spielvarianten geeignet.
The origin of the cards is attributed to Edward Hawke Locker (1777 - 1849), because one card carries his signature.
The only existing original is in possession of Ms Sylvia Mann, who gave kind permisson in the 1970s to the publisher Edition Leizig to reprint the pack of cards.
The set comes with a bilingual (english/german) leporello, where the history of the cards is introduced and the background of the figures on the cards is explained.
The deck of cards contains 52 cards, which makes it fit most card games.

Die Karten sind einfach unglaublich schön und erzählen wunderbare Geschichten.
Vorlage für viele Karten waren die berühmten Ausrufer von London. Händler, die ihre Waren anpriesen, aber es finden sich auch allerhand andere skurile Gesellen.
The cards are beautiful and tell amazing stories.
Most cards are based on the famous series 'cries of London'. Traders, which have advertised their goods with street cries, but there are many more intersting figures depicted.

Auf der Kreuz Königin sehen wir Edward Hawke Locker in einer Selbstdarstellung.
On the Queen of Clubs is a self portrait of Edward Hawke Locker.

Jede Karte ist mit Liebe zum Detail und einem scharfen Auge gemalt.
Each card is painted with a love for detail and a sharp eye.

Die Karo Sieben mit dem herrlichen 'Wappen alter Mädchen', 
auf dem die vier vermeintlichen Vorlieben unverheirateter Damen dargestellt werden:
Tee, Katzen, Karten und Klatsch
Darunter das Motto 'Nemo me impune lacessit' (Niemand wagt es mich zu kränken)
The Seven of Diamonds with the lovely arm of 'the old maids',
which shows their four reputedly favourites of spinsters:
tea, cats, cards and gossip
Below  the motto 'nemo me impune lacessit' (None dares to offend me)

Auch die Mode kommt nicht zu kurz, 
auf der Pik As sieht man eine Modistin mit ihrer Hutschachtel.
There are even cards on fashion, the Ace of Spades shows a milliner with a huge hat box.

 Dank all der wundervollen und interessanten Abbildungen, die Locker gewählt hat, dauert jedes Spiel viel länger als üblich...
...aber an langen, dunklen Wintertagen hat man ja bekanntlich viel Zeit!
Thanks to all the lovely figures, which Locker painted on his set of cards, each game suddenly takes much more time...
...but on long and dark winter's days is always plenty of time!

Sonntag, 22. Dezember 2013

1798/1799 Costume Parisien Spincer bordé en poil

Das letzte Kleidungsstück, das ich in diesem Jahr an meinem Nähtisch gefertigt habe, 
entpuppte sich zu meiner Freude als reines Vergnügen.
Angefangen von der Auswahl der Stoffe und des Modekupfers, 
über das Erarbeiten des Schnittes bis hin zum Nähen.
Wunderbar!
The last garment, which I've sewn on my work table,
turned out to be all bliss.
From the choice of fabrics and fashion plates,
the drafting of a pattern to the sewing.
Marvellous!

Noch während ich an dem Ensemble Costume Parisien 'Robe de Couleur' arbeitete, entdeckte ich auf einem Antikmarkt ein Stück alten, rosa Baumwollflanell mit einem kleinen Muster.
Die Jahre hatten ihre Spuren auf dem Stoff hinterlassen, aber das machte ihn umso begehrenswerter. Was zählen schon ein paar Flecken, wenn er dafür ein wenig die Vergangenheit erweckt.
While I was still busily working on the Costume Parisien 'Robe de Couleur' ensemble, I spotted a truly beautiful piece of antique/vintage, pale rose cotton flanell with a small white pattern on an antique fair.
The years have left some marks of wear and tear, but that only made it even more desireable. I don't mind a few stains, when the whole piece is able to evoke the past.
Der Stoff maß etwa 70 Zentimter mal 2 Meter.
 Die perfekte Länge für einen Spenzer! Und es dauerte auch nicht lange, bis ich auf einen passenden Modekupfer stieß.
The fabric measured 28 inches to 79 inches.
The perfect lenght for a spencer! And it didn't take long until I've found a matching fashion plate.

1798/1799 Costume Parisien Spincer Bordé en Poil
(Quelle/source: via pinterst)

In der Abbildung ist der Spenzer in einem zarten Grün dargestellt, aber der folgende Textauszug des Journal des Dames et des Modes zeigt, dass auch ein blasses Rosa durchaus modisch gefragt war.
The spencer in the fashion plate is shown in pale green, but the following excerpt from the Journal des Dames et des Modes reveals, that pale rose was also quite fashionable.

1798 Journal des Dames et des Modes (Quelle/source: BnF)

 Somit war der Spencer einen Winter vor dem Ensemble 'Robe de Couleur' in Mode.
Also durfte er ein paar Gebrauchsspuren mitbringen.
Erstmals kam bei dieser Nacharbeitung der gealterte Baumwollstoff  zum Einsatz, den ich neulich in einem Beitrag vorgestellt habe.
Es fehlte nur noch geeigneter Pelz, der dem Spenzer schließlich den wohlklingenden Namen 'bordé en poil' verleiht.
Zunächst hatte ich einen Baumwollplüsch im Sinn, aber dann entdeckte ich im Stoffladen vor Ort einen wunderbaren Kunstlammpelz mit Velourrückseite.
The spencer was in fashion the winter prior to the 'Robe de Couleur' ensemble.
Hence it was allowed to show some signs of wear.
For the first time I used the aged muslin, which I've recently wrote a blogpost about.
All I needed to find then was proper fur, which has given the spencer it's euphonic french name 'bordé en poil'.
I opted for cotton plush, but then stumbled upon the most amazing faux lamb's fur with a velour backing.

Ich stürzte mich - juchzend! - in die Arbeit und der Spenzer war im Handumdrehen genäht!
I plunged - cheering! - into work and the spencer was done in no time!

Ein wollig warmer Spenzer aus drei Lagen Stoff.
Außen der alte Baumwollflanell, als Zwischenfutter ein weiterer Baumwollflanell und das Futter besteht aus Baumwollstoff.
A toasty warm spencer made of three layers of fabric.
On the outside the vintage cotton flanell, then another layer of flanell and the lining made from aged cotton.
Wenn man sich keinerlei Gedanken um einen Verschluß machen muß, geht die Arbeit nochmal so schnell vonstatten!
If there's no need to make up your mind about a fiddly front fastening, the progress is even quicker!
Ich bin vollkommen hingerissen von den Farben und den Materialien, sie geben dem Kleidungsstück tatsächlich den Anschein, als wäre es schon eine Saison getragen worden.
I'm totally smitten by the colours and fabrics, they give the impression as if the garment really has been worn for a season already.

 Die Seitenansicht mit den langen verbrämten Ärmeln.
The side view with the long, fur-trimmed sleeves.

Die aufgesetzte Naht vom Seitenteil zum Rückenstück.
The top stitching, which connected the side piece with the back.

 Die mittlere Rückennaht mit einem meiner Lieblingshandstiche.
Dank des Velourrückens, ließ sich der Kunstpelz wunderbar annähen - kein Aufribbeln oder Flusen.
The backseam with one of my favourite handstitches ever.
Due to the velour backing the faux fur was amazingly easy to stitch down - no fraying or lint ball.

Und nun möchte ich meine geduldigen Leser nicht länger auf die berüchtigte Folter spannen, sondern das Ensemble vorführen, das ich in den letzten Tagen in einigen Beiträgen vorgestellt habe.
And now I don't want to tantalise my dear patient readers any longer, and finally show them the ensemble, which I have introduced over the past few days.

Heute Morgen brachte der Postkutscher in aller Frühe einen Schwung Briefe. 
Da es ein diesiger Tag ist, muß ich mit der Lektüre bis nach dem Frühstück warten, ehe sich die Sonne zeigt.
Neben der täglichen Korrespondenz, findet sich schließlich auch ein unerwarter Brief...
This morning the coachmen brought a bunch of letters. 
It is a misty morning and I have to wait until after breakfast for the sun to finally enable me to read. Next to the daily correspondance, I stumble upon an unexpected letter...

...eine Einladung! 
Und Eile ist geboten, denn ich habe bereits den halben Vormittag vertrödelt...
...an invitation!
And it is urgent as I've already fiddled away time this morning...

...ich springe rasch auf und suche meine Gedanken zu ordnen...
...I leap up immediately, trying to arrange my thoughts...

...und natürlich das Haar vor dem Spiegel...
...and to arrange my hair in front of the mirrow...

...bei der Kälte ist es ratsam einen warmen Spenzer zu tragen, der hat mich auch schon im vergangenen Winter vor mancher Verkühlung bewahrt...
...with the current freezing weather, it's well to wear a warm spencer, the one that has already kept me from a cold the past winter...

...schnell noch das Halstuch verknotet...
...quickly close the muslin neckkerchief...

...oh, die Eitelkeit! Aber ein prüfender Blick in den Spiegel hat noch niemandem geschadet und man weiß nie, wem man begegnet...
...oh, vanity! But a peer in the mirrow has never done any harm and you never know whom you meet outside...

...und nun hinaus in die Kälte...
...and now outside into the cold breeze...

...noch ist kein Schnee gefallen, aber eine Ahnung davon liegt bereits in der Luft. 
Hab ich auch nichts vergessen? Nein! Ich eile nun besser...
...no snow has fallen yet, but the crisp air anticipates it.
I hope I haven't forgotten something? No! I better hurry...

...los geht's! Kommt mit! Neue Abenteur am Nähtisch warten!
...here we go! Join in! New adventures at the sewing table are on the rise!

An dieser Stelle möchte ich meinen lieben Lesern für ihre Freundlichkeit, ihre Unterstützung und ihr stetes Interesse danken.
Ich wünsche allen fabelhafte Festtage und ein 
gutes, glückliches und vor allem gesundes neues Jahr.
Meine Stoffschränke sind gut gefüllt und die Modekupfer stapeln sich schon, mehr davon in
2014!
I'd truly like to thank my dear readers for their kindness, support and interest.
Wishing you very merry and magical holidays
and an amazing, happy and healthy New Year.
My fabricstash is fully stuffed and the fashion plates pile up high, more on that in
2014!

Samstag, 21. Dezember 2013

1799/1800 Costume Parisien Robe de Couleur - Teil II: Fichu-Chemise(tte)

Fichu-Chemise also...
Ich traf ein wenig unvorbereitet auf eine Liason mit Bindestrich aus zwei Begriffen, die mir in den späteren Jahren, der Hochromantik, schon oftmals getrennt begegnet waren.
Meine erste verzweifelte Suche nach einer Erklärung der Modekupfer lief ins Leere und unter dem Begriff selbst wurde ich zu einem Modekupfer aus dem Journal des Dames et des Modes geführt, der auf das Jahr 1804 datiert wird (nicht durch die Aufschrift auf dem Costume Parisien Modekupfer verwirren lassen, nach unserem Kalendersystem fällt der Modekupfer in den März 1804).
Fichu-Chemise then...
I've rushed quite unprepared into this liason of two terms connected with a hyphen, which were only familiar to me as being seperate terms in the later years, the high romanticism.
My first desperate search for an explanation of the fashion plate led me into nothingness and the term itself revealed a later fashion plate from the Journal des dames et des modes, which was dated to 1804 (don't get confused by the marked date, actually that number of the Costume Parisien plate corresponds in our calendar system with March 1804).
 

Eine Fichu-Chemise ist laut dem Journal des Dames et des Modes vom März 1804 ein Kleid (zumeist aus Musselin), das keine Taillennaht hat und mit einem Band oder Gürtel zusammengerafft und gehalten wird.
 According to the Journal des Dames et des Modes of March 1804 a fichu-chemise is a dress (mostly made of muslin), which has no waistseam and is gathered with a ribbon or belt.

Allerdings warf die Beschreibung eher neue Fragen auf. Obwohl auch in dem Costume Parisien Modekupfer 171 die Rede von 'Fichu-Chemise' ist, entdeckt man unter dem Saum der Robe de Couleur keinerlei Musselin hervorblitzen...und auch der Modestich 172 hüllt sich in Schweigen oder besser gesagt in die Fülle des Oberrocks.
Actually the description led to more questions rather than solving any. While the Costume Parisien No.171 mentions the 'fichu-chemise', there's no hint of a muslin flashing from under the robe de couleur...and the plate No172 was no help either.
1799/1800 Costume Parisien No.171 Robe de Couleur, No.172 Chapeau Cornette

Ich war ein bisschen hin und hergerissen. Natürlich zeugt ein zweites Kleid (auch wenn es sich lediglich um hauchzarten Musselin handelt) in eisigen Wintertagen von einigem Nutzen, aber ich entschied mich dennoch der Stimme meines Stoffvorrates zu folgen und aus der Fichu-Chemise eine Fichu-Chemisette zu nähen.
I felt torn. Certainly a second dress (even only made of lightweight muslin) would add some warmth on a freezy frosty winter's day, but I decided on responding to the call of my fabric stash and stitch a fichu-chemisette instead a fichu-chemise.

Meine liebe Freundin Kerstin, mit der ich ganz altmodisch im Briefwechsel stehe, hat mir erst neulich noch einen Rest von ihrem wunderbaren Musselin geschickt, von dem sie sich selbst nämlich ein herrliches 1797er Chemisenkleid genäht hatte.
Dieser Stoff  ̶s̶̶o̶̶l̶̶l̶̶t̶̶e̶  mußte es sein - nochmals vielen lieben Dank!
My dear friend Kerstin, with whom I exchange real letters in the old-fashioned way, recently has sent me a piece of beautiful chequed muslin, from which she has sewn herself a beautiful 1797s chemise dress.
It  ̶s̶̶h̶̶o̶̶u̶̶l̶̶d̶  had to be this fabric - many thanks again!

Der verwendete Musselinstoff maß in etwa 50 Zentimeter mal 1.50 Meter.
The muslin fabric was approximately 20 inches wide and 59 inches long.

Innen ist er (bis auf die Ärmel) mit feinem Baumwollpopelin gefüttert.
Die Falten sind nicht eingenäht, sondern lose iwe bei einem Fichu.
The inside (sans the sleeves) is lined with fine cotton poplin.
The pleats are not stitched down, but remain loose like common in fichus.

Dann durfte sich mein Geschmack frei entfalten: was aber nicht für die Falten auf dem Rückteil galt, denn die wurden festgenäht.
Then I allowed my taste to unfold: which wasn't allowed to the pleats in the back though, as they were stitched down.

Meinem Geschmack folgend, haben auch die Ärmel eine kleine Änderung erfahren.
Nachdem ich, wie im Modekupfer gezeigt, zwei Verzierungen aufgenäht hatte, mußte ich feststellen, dass mir das Oberteil zu überladen wirkte. Also trennte ich die doppelte (obere) Reihe wieder ab.
Aber die Arbeit war nicht vergeudet, denn sie regte mich an darüber nachzudenken, wie die Frauen vor zweihundert Jahren mit den Modekupfern umgegangen sind.
Ähnlich wie unsere heutigen Modezeitschriften waren sie ein Leitfaden, der hier und da nach dem eigenen Geschmack und den verfügbaren Mitteln angepasst wurde.
Following my taste, I've also done a minor change on the sleeves.
After I've stitched the second row of decoration to the sleeve, I realized that it felt too much froufrou for this garment. I decided to rip off  the upper trim - so much more appealing.
And the work wasn't in vain, as it led me to think about how the women two hundered years ago dealt with these fashion plates.
Similar to our modern fashion magazines, these were a guideline and a source of inspiration, which was adapted due to the personal taste and means.

Ein Blick auf das Futter An der unteren Kante habe ich ein Nahtband eingenäht.
A view of the lining. I added a waistband on the hem.

Die Abnäher des Futters sind nach Innen sichtbar.
The darts are visible on the inside of the lining

Die Chemisette wird mit einer Nadel geschlossen. 
Ich habe ein Kleidungsstück erhalten, welches ich wunderbar mit meinen anderen Röcken aus der Zeit kombinieren kann und selbst wenn der Spencer abgelegt wird, ist man noch sittsam gekleidet.
The chemisette is closed with a pin. 
I have sewn a garment, which I can also wear with my other period skirts, and even without a spencer I am still modestly dressed.

Ein wunderbar luftiger Stoff.
A lovely lightweight fabric.

Von der Seite erkennt man die etwas voluminöse 'Fichu Wirkung' besonders trefflich.
The side view gives a very good impression of the 'fichu - shape'.

Ehrlich gesagt, verlangt ein solch zartes Kleidungsstück angesichts der frostigen Wintertage doch nach einem wärmenden Spenzer, nicht wahr?
Mehr dazu im nächsten Beitrag über einen Spincer (das 'i' ist kein Schreibfehler!) a bordé en poil aus dem Jahr zuvor, also der Winter 1798/99!
Honestly, such a delicate garment needs a cosy spencer in these frosty winter's days, does it not?
More about it in my next post about a spincer (the 'i' is no grammatical mistake) a bordé en poil from the prior year, the winter of 1798/99!

Freitag, 20. Dezember 2013

1799/1800 Costume Parisien Robe de Couleur - Teil I: Der 'wattirte' Rock

Wider allen Gerüchten bin ich nicht etwa dem vorweihnachtlichen Stress erlegen
 und deshalb untergetaucht - ganz im Gegenteil, ich habe fleißig, aber mit der gebotenen Muße an dem gequilteten Rock gearbeitet.
Eine unglaublich wertvolle Lektion, 
denn es hat mir in den 50 Stunden gezeigt, wieviel Arbeit in einem solchen Kleidungsstück steckt.
An manchen Tagen war es wunderbar, an anderen habe ich mich zugegebenermaßen eher an den Nähtisch gezwungen. Ein wenig eintönig ist die Arbeit, aber Raute um Raute wuchs die Begeisterung für das zukünftige Kleidungsstück.
Die Zeit am Nähtisch habe ich mir übrigens mit dem wunderbaren Hörbuch zu dem Text  von K.A. Böttiger 'Literarische Zustände und Zeitgenossen' vertrieben.
Und in diesem Zusammenhang - davongetragen von literarischen Texten und für einen kurzen Augenblick ein wenig nachlässig geworden - hat sich die 'Robe de couleur' auch erstmals den Beinamen 'Robe de malheur' verdient, aber bevor ich das berühmte Pferd wiedermal von hinten aufzäume...
Against all rumours I do not suffer from the annual pre Christmas hustle and therefore submerged - in contrary, I was busily, but with a certain idleness, working on my quilted skirt.
An unbelievably valuable lesson,
which has revealed to me in about 50 hours, how much work (and labour) was put into such garment.
On some days it was bliss, on others I admittedly had to force myself to the sewing table.
But even though it somedays felt dreary, with each diamond taking shape my passion-ardour-enthusiasm for the finished garment steadily grew.
While sitting down at the sewing table I've chosen an audio book with period texts for entertainment.
An in this conext - being taken away by the literary wit and getting prone to a certain attitude of being absent minded - the 'robe de couleur' earned it's nickname as 'robe de malheur', but before I put the cart before the horse...

Wenn man den gequilteten Rock in dem Modekupfer näher betrachtet, fällt schnell auf, dass sein Gewicht nicht allein durch zwei Schulterbänder getragen werden kann. Der Kupfer selbst gibt einen guten Hinweis auf die Konstruktion.
When taking a closer look to the quilted skirt on the particular fashion plate, it's quickly evident, that it's weight could not solely be carried by two narrow shoulder straps. The fashion plate itselfs gives a good clue on the construction.

1799/1800 Costume Parisien No.171 Robe de Couleur
Im vorderen Bereich wird das Schulterstück breiter, was darauf hinweist, dass es ein dazugehöriges Rückteil gibt und das Gewicht des Rocks folglich an der Verbindungsnaht vom Rückteil hängt.
Die Konstruktion ist ähnlich wie von einem ärmellosen Kleid, wobei das Vorderteil ausgespart wird.
In the lower front the shoulder strap widens, which indicates, that there's a full back part (bodice) and that the weight of the skirt hangs on the seamline to the back of the bodice.
The construction is similar to that of a sleeveless dress, without a front piece.

Und während ich die Konstruktion zweilagig (außen Baumwollsatin, innen mollig warmer Flannel) vernähte, geschah folgendes:
An while I stitched the two layers of the bodice (cotton sateen and toasty warm flannel), the following happened:
Ups! Ein verdrehtes Schulterstück!
Was tun?! Alle Nähte wieder auftrennen??? Oh je!
Seufz!!!
Nein, in diesem Fall mußte eine andere Lösung her.
Oopsie! A twisted shoulder strap!
What to do?! Rip off all seams??? Oh no!
Sigh!!!
In this case another option was considered.

Ich beschloss ein Reststück auf die rechte Seite des Stoffes (rechts auf rechts) zu nähen.
I decided to stitch a remnant on the right side of the fabric (right side on right side).

Dann ein mutiger Schnitt entlang des Unterarmstücks und das Vorderteil wird aus seiner misslichen Drehung befreit.
Then a brave cut along the underarm piece to de-twist the front.
Die Originale werden wieder so zusammengelegt, wie sie ursprünglich waren, dann wird das angenähte Stück darübergeklappt.
The original pieces are put together as they once were, before covering them with the added piece of fabric.
 Dann sieht es so aus...
This is what it looks like...

Mit kleinen Rückstichen von oben annähen und zurechtschneiden. Das hat das leidige Auftrennen und eine ganze Menge Arbeit erspart! Stückeln ist zudem eine zeitgenössische Technik, wenn mal nicht genügend Stoff vorhanden ist oder der Näherin aus Unachtsamkeit ein Malheur passiert!
Next topstitch the additional piece and cut in shape. This has spared me ripping open the seams and a lot of work! Piecing is a period technique if there's not enough fabric or the seamstress accidently has caused a malheur!

Nach dieser Lektion ging es dann aber besser voran. Das Oberteil wurde schließlich ohne weitere Zwischenfälle mit dem Rockteil vernäht.
Ich entschied mich für eine Variante,  bei der das Rockvorderteil ähnlich wie  bei einem Frontklappenkleid konstruiert wird - nur ohne Klappe.
After this lesson things worked out more smoothly. The bodice was stitched to the skirt without further ado.
I decided on a similar construction as in front bib gowns - sans the bib.
An einer Seite wird das Rockstück dabei angenäht, jedoch ist trotzdem noch eine Öffnung vorhanden.
Auf der anderen Seite wird der Rock mit Haken geschlossen.
One side of the front panel is stitched to the skirt, but still with an opening.
The other side is closed with hooks.

Die Front wurde in kleine festgenähte Falten gelegt, die etwa 3 Zentimeter von der Rückseite genäht wurden.
The front is sewn into tiny pleats, about one inch long.
Die Falten wurden auch am oberen Rand flach angenäht, um dem Rock nicht noch mehr Volumen zu geben.
The pleats were also sewn flat at the top, to prevent the skirt having more body than desired.
 Auf der Innenseite wurde zusätzlich ein Nahtband angebracht.
On the inside I've added a waistband.

Ein Bild von der Rückansicht des Oberteils...
The back view of the bodice...

...und die Vorderseite mit 'geschlossenem' Rock
...and the front with a 'closed' skirt

Bei der lang ersehnten ersten Anprobe stellte ich allerdings nicht nur fest, dass sich der Kupferstecher zu einer frühen Version von Photoshop hat verleiten lassen, sondern dass der Rock durch das Quilten auch ein paar Zentimeter zu kurz geworden war.
In diesem Fall fügte ich einfach eine Blende an den unteren Saum und quiltete auch diese mit Rauten.
Robe de Malheur - nur nicht die Nerven verlieren!
Then on the first highly anticipated try-on I not only noticed that the engraver had chosen an early version of Photoshop for the plate, but that the whole skirt was about an inch too short due to the quilting.
In this case I added a piece to the hem and quilted it with even more diamonds.
Robe de malheur - don't loose your mind!
Von außen...
The outside...

...und die Innenseite.
...and the inside.

Und was hat es mit der Anspielung auf Photoshop auf sich?
Das fertige Stück hat durchaus nicht den Stand, den eine Wattierung mit Wolle hervorgerufen hätte, sondern eher den schweren, doch fließenden Fall von Schurwollstoff, aber dennoch trägt es ein wenig mehr auf als in dem Modekupfer gezeigt.
An what about the hint to photoshop?
The finished skirt doesn't have the stand/body of a garment padded and wadded with wool padding, but more of the fall and flow of pure wool fabric, nevertheless it has more shape than indicated in the fashion plate.


Aber dafür ist es wirklich wunderbar warm!
But alas it's truly toasty and cosy warm!

Und doch auch von gewisser Eleganz!
And with a certain elegance!

Passend zu dem Rock gibt es noch eine hübsche Fichu Chemise (wie im Modekupfer abgebildet). Mehr dazu und zu einem passenden Spencer aus dem Jahre 1798/1799 gibt es dann im nächsten Beitrag!
Bis dahin erinnere ich noch einmal:
Handsewing is bliss :)
I also have assembled a matching fichu chemise (like pictured in the fashion plate).
More on that and on a spencer from 1798/1799 for this particular ensemble in my next post!
Until then I'd like to remind:
Hand sewing is bliss :)