Den Titel des heutigen Beitrags habe wir der Weimarer Sängerin Corona Schröter (1751 - 1802) zu verdanken. In dem kleinen Werk "Fuenf und Zwanzige Lieder", das 1786 von ihr selbst veröffentlicht und von der Hoffmannischen Buchhandlung in Weimar in Commission vertrieben wurde, findet sich das Lied mitsamt ihrer Vertonung durch Noten unter der Nummer 20 (Quelle: Herzogin Anna Amalia Bibliothek haab-Klassik, Digitale Sammlung)
1787, Corona Schröter gemalt von Anton Graff (Quelle: wikimedia) |
Die vortreffliche und von vielen ihrer Zeitgenossen verehrte Sängerin, die bei der Uraufführung des Singspiels "Die Fischerin" 1782 in Tiefurt die Rolle des Dorchens übernahm und in dieser Goethes Erlkönig darbot, wird heute sicherlich nicht selten wegen ihres Vornamens für fragende Blicke oder hochgezogene Augenbrauen sorgen.
Corona im Jahr 2020/2021 bedeutet wohl die Auseinandersetzung mit Einschränkungen des äußeren Lebens und das Ausloten der inneren Grenzen, manchmal bringt das Unbehagen, aber sicherlich auch so manches Liedchen der Sehnsucht.
Die Sehnsucht nach Reisen, nach dem Wiedersehen mit Freunden und Zeiten, in denen die Gesellschaft nicht mit der Unwägbarkeit einer Epedemie konfrontiert ist.
Mein dilettantisches Philosophieren hat mich schließlich zu der Erkenntnis geführt, dass wir durch die äußeren Einschränkungen in diesen Tagen der Lebenswelt einer Corona Schröter wieder näher gerückt sind.
Eine Zeit, in der Edward Jenner (1749 -1823) ab dem Jahr 1796 in vielen Journalen Erwähnung fand, weil er mit einigen unabhängigen Mitstreitern die Behandlung gegen Kuhpocken bei Menschen untersuchte und erstmals durch einen Impfstoff vorantrieb und das Wort "Vakzination" für die Pockenschutzimpfung prägte, aber in der man ansonsten vielen grassierenden Krankheiten noch hilflos ausgeliefert war. So haben der berühmte Weimarer Reformer Johannes Daniel Falk (1768-1826) und seine Frau Caroline (1780-1841) sieben ihrer zehn Kinder verloren, vier davon im selben Jahr durch Typhus (eindrücklich nachzulesen in Ingrid Dietsch Buch "Da fühlst Du einmal meine Last - Vom Alltag der Caroline Falk in Weimar", Wartburg Verlag 2003).
Penicillin, Aspirin und viele Medikamente und Verfahren, die der heutigen Gesellschaft zur Verfügung stehen, waren nocht nicht entdeckt.
Und auch das ausgiebige Reisen, vor allem als Bildungsreise durch Europa, war damals mehrheitlich (aber nicht ausschließlich) den höheren Ständen, dem gehobenen Bürgertum und Adel vorbehalten.
Jede Reise bedeutete ein Wagnis, aber die Sehnsucht danach war auch um 1800 schon weit verbreitet, was einen Anstieg (und die Nachfrage!) der veröffentlichten Reisebeschreibungen im letzten Quartal des 18.Jahrhunderts anschaulich belegt (Michael North, Genuss und Glück des Lebens, Kapitel 1 Buch und Lektüre, Böhlau Verlag 2003)
Ja, die äußerlichen Einschränkungen betrafen nicht nur das Reisen zu fernen Zielen. Mit Schrecken denken wir an den Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843), der seine Tage ab 1807 bis zu seinem Lebensende in den wenigen Quadratmetern des Turmzimmers in Tübingen fristete.
Aus seinem Unglück eine Tugend machte Xavier de Maistre (1763-1852), der 1790 in Turin eine Haftstrafe von 42 Tagen verbüßte und dort seinen Roman "Voyage autour de ma chambre" als Parodie auf all die Reisebeschreibungen schrieb, der 1794/95 veröffentlicht wurde.
Weniger dramatisch, aber sehr poetisch philosophisch begegnet uns Johann Peter Uz (1720-1796) in seinen Briefen an Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), die es ihm ermöglichten an den Erlebnissen seiner Freunde teilzuhaben, ohne Ansbach zu verlassen (zur Vertiefung: Wolfgang Adam, Freundschaft und Geselligkeit im 18.Jahrhundert)
Durch Briefe gepflegte Freundschaften bedeuteten damals zumindest ansatzweise das Stillen der Sehnsucht, wenn äußere Umstände ein Wiedersehen verhinderten.
Und unvorhergesehen finden wir uns in ganz ähnlicher Situation.
In den vergangenen Wochen und Monaten reiste das ein oder andere Brieflein, aber auch Emails, Telefonate und Videoanrufe trösteten über manch trübe Tage und aus der Ferne durfte ich an einem Projekt mitwirken, dessen Idee bereits im Jahr 2019 gereift und entwickelt worden war.
Meine verehrten Freunde von Les Soirées Amusantes setzten ein wundervolles Stück aus der Feder des Sozialreformers Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) um, welches 1795 Eingang in Bertuchs Journal des Luxus und der Moden gefunden hatte: Die Schleppen.
(Falls das Video nicht automatisch erscheint, bitte hier entlang: Die Schleppen)
Ein wenig scheint uns der Humor aus der Zeit gefallen zu sein, aber der Einakter dreht sich um den Sinn und Unsinn der wechselnden Moden.
Im Journal des Luxus und der Moden hat die Mode zwar einen hohen Stellenwert, aber immer wieder ertappen wir Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) dabei, wie er mal augenzwinkernd, mal kopfschüttelnd über das Karusell der Kleider und Eitelkeiten berichtet. Was hatte ihn dazu bewogen, ausgerechnet von Rochows Stück auszuwählen und zu drucken?
Könnte es sein, dass seine Gattin Caroline Bertuch (1751-1810) über das Stück gestolpert ist?
Sie war eine kluge, durchaus tatkräftige Ehefrau, die viele Ideen entwickelte und gemeinsam mit ihrem Mann verwirklichte. Sie betrieb u.a. die Kunstblumenmanufaktur in Weimar.
Erst durch die - widerum von ihren eigenen Maßstäben und Moralvorstellungen geleiteten - Betrachtung im 19. Jahrhundert und frühen 20.Jahrhundert verblassten die Lebensbilder vieler Frauen um 1800, aber glücklicherweise rücken sie mehr und mehr zurück in die Öffentlichkeit, in der sie ihren Zeitgenossen noch allgegenwärtig waren.
Ein interessanter Bericht über Caroline Bertuch findet sich hier:
"...so ist mein Leben jetzt zwischen vornehm tun und häuslichen getheilt..." von Jessica Aniol.
Auch Friedrich Eberhard von Rochows Ehefrau Christiane Louise (1734-1808) war eine interessante Persönlichkeit und stand selbstbewusst als Sozialreformerin neben ihrem Mann...und wer weiß, vielleicht wirkte sie an dem kurzen Einakter maßgeblich mit.
1794, Christiane Louise von Rochow von Christoph Franz Hillner (Quelle/Fotourheber): Gregor Rom Wikimedia) |
Das Rochow Museum Schloss Reckahn veranstaltete im Jahr 2010 in der Reihe "Mut und Anmut Frauen in Brandenburg Preußen" die Ausstellung "Tugend, Treue, Eigenständigkeit" zu der es glücklicherweise direkt über den Museumsshop noch ein Begleitbuch gibt!
In diesem Buch werden neun Frauenportraits vorgestellt, die spannender nicht sein könnten, denn den Autoren der jeweiligen Kapitel gelingt es, durch eine stattliche Auswahl an Quellen die Frauen selbst erzählen zu lassen...und die haben so einiges zu berichten!
Einige von ihnen waren gewiss reiselustig und begegneten sich immer mal wieder, aber oft wurden Freundschaften nur durch Briefe aufrecht erhalten und das über Jahre und Jahrzehnte. Darin teilte man seine Erlebnisse, Freuden, Verluste und Sehnsüchte...
Hier schließt sich der Kreis. Ich hoffe, mein Nähkästchengeplauder und all die Bücher und verlinkten Quellen fern ab vom Nähtisch bringen Kurzweil und tragen ein bisschen dazu bei, die Frauen hinter den Kleidern kennenzulernen...manchmal rückt uns die Vergangenheit ganz nah und wir vernehmen ihr Liedchen der Sehnsucht auch heute noch.
Bleibt gesund...und lest!
Ein Hurrah! auf Bücher, auf Lesezeit. Und auf die modernen Kommunikationsmedien, welche uns das Kontakthalten um so vieles bequemer und schneller gestalten, als dies um 1800 der Fall war! Über Corona Schröters zweite Sammlung "Gesänge mit Begleit. des Fortepiano" erhältlich in Weimar beym Industrie-Comptir zu 1fl 12fr bin ich kürzlich in der September 94 Ausgabe des Journals gestolpert :-)
AntwortenLöschenIch geh nun wieder zurück zu den Schawls, allerdings nicht mit einer Entspannungslektüre bei North :-)
Vielen Dank für den Tip! Ich schlage das mal im Journal nach...und falle sicher prompt wieder in das nächste "Kaninchenloch":-)
LöschenAuf den Beitrag über die Shawls warte ich schon mit Spannung!!!
Och, Sabine! Diese Lieder von Frau Corona Schröter muss ich unbedingt einmal mit Thys durchgehen! Bestimmt sind da ein paar Ohrenwürmer drunter!! Vielen Dank für diese Entdeckung und auch für jene des schönen Porträts von Graff!
AntwortenLöschenJa unbedingt! Dann warte ich mit Spannung auf das Ergebnis...ich freue mich, dass der Beitrag auch für Dich eine schöne neue Anregung enthält!
LöschenJa, Zeiten wie diese....neben einer angenehmen Flucht in andere Zeiten und Leben, wie sie deine Buchempfehlungen nahelegen, hoffe ich sehr, dass wir dem Beispiel Falks ein klein wenig folgen und auch in Zeiten der Not unsere Möglichkeiten für das Gute einsetzen können.Liebe Grüße und bleib gesund!
AntwortenLöschenAuf jeden Fall! In unserem Beschäftigungsfeld bietet es sich ja derzeit an zu lesen und lesen und lesen und wie sagte Montesquieu, den ich bei dieser Gelegenheit so gern zitiere: "Studieren war für mich das wirksamste Heilmittel gegen die Abscheulichkeiten des Lebens, und niemals gab es einen Kummer, den eine Stunde Lektüre mir nicht genommen hätte."
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