Noch im letzten Jahr fiel mir ein interessantes Buch über Schuhe aus den 1780er Jahren in die Hände.
1782, Peter Campers Abhandlung über den besten Schuh, bei C.F.Wappler, Wien (Quelle: googlebooks) |
Ein kurzes Werk über die Voraussetzungen einen bequemen Schuh herzustellen, angedacht für Schuhmacher, die dem Autoren zufolge, oft kein großes Geschick bei ihrer Arbeit zeigen.
Peter Camper gibt Einblicke in die Anatomie des Fußes, die Beschaffenheit von Sohlen, Absätzen und Schuhblättern, in die Straßenverhältnisse und den idealen Gang.
Er lässt kein gutes Haar an den Frauenzimmerschuhen der 1780er mit ihren hohen Absätzen, vor allem, wenn sie nicht mit großer Kunst auf den Fuß der Trägerin angepasst sind.
Ja, er empfiehlt den Frauen gar, robuste Herrenschuhe zu tragen oder sich an den Gepflogenheiten der Landbevölkerung zu orientieren.
Diese neue Betrachtungsweise in Kleiderfragen taucht in den 1780ern in vielen Schriften auf, aber ein tatsächlicher Umbruch findet erst später im Jahrzehnt und vor allem in den 1790ern statt.
Der viel gepriesene kleine Frauenfuß wird selbstbewusst in lange und sehr spitze Schuhe gesteckt, der Absatz wird immer flacher, bis er tatsächlich dem Ideal von Peter Camper entspricht.
Eine neue Mode - gerade das macht die Kleider-und die Schuhbetrachtung in der Zeit während und nach der französischen Revolution spannend. Ja, die 1790er strotzen geradzu vor einer großen Auswahl der verschiedensten Schuhformen, die nebeneinanderher existierten.
In den Frankfurter Frag-und Anzeige Nachrichten vom 24.März 1796 erfahren wir von einer großen Lieferung an Schuhen zur Ostermesse:
Sammlung Frankfurter Frag-und Anzeige-Nachrichten, 1796 (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...]Pariser Damen Schuhe.
Sacey, wird in dieser Ostermeß hier ankommen mit einer großen Parthie Pariser Frauenzimmer-Schu, in Seiden, Saffian, Maroquin u.f.w. auf englische Art genähet, von fl 15 bis fl 20 das Dutzend, von sehr schöner Facon, und in allen möglichen Größen. [...]
Da werden Monsieur Saceys Schuhe bei Hrn. Cornill in der Sandgasse in Frankfurt gleich im ganzen Dutzend und in verschiedenen Größen für die Damenfüße angeboten, ohne einen Leisten angepasst zu haben. Die Paßgenauigkeit wird Peter Campers wohl sehr mißfallen haben.
Zum Vergleich findet sich in Karl Kriedrich Henslers komischer Oper die Tochter des Schuhmachers, welche ein Schuhblatt für eine wohlhabende Kundin fertigt:
1798, Karl Friedrich Hensler, Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen, Wien (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...] Röschen: Von der gnädigen Frau in der Stadt, der ich heute früh die atlassenen Schuhe eingefasst habe.[...]
Die Nachfrage für modische Schuhe war groß, gerade weil Moden so schnell wechselten und die Frauenzimmerschuhe es ermöglichten die passenden Schuhe zum Kleid herzustellen, herstellen zu lassen oder fertig zu kaufen.
Eine besonders charmante Gouache hat der Maler Jean-Baptiste Mallet (1759-1835) hinterlassen. Es zeigt einen Schuhmacher oder Schuhhändler oder einfach nur einen galanten Herren, der bei einer Schuhanprobe nicht nur zugegen, sondern auch gern behilflich ist - Nun, es hat sich herumgesprochen, dass es mit Schnürbrust oder Schnürleib angenehm ist, wenn man beim Wechsel der Schuhe ein wenig Hilfe bekommt...außerdem lässt sich auf diese Art wunderbar kokettieren.
Eighteent-century French Drawings in New York Collections, Metropolitan Museum of Art (Quelle: pinterest via googlebooks) |
Eine besonders schöne Mode kam in den 1790ern aus England, es sind Schuhe aus feinem Leder mit ausgestanzten und bestickten Schuhblättern. Auch sind Exemplare aus Seide zu finden, aber mit Leder arbeitete es sich in dieser Technik wohl einfacher.
1790-99, Pair of Shoes, Victoria and Albert Museum London, No. T.478-1913 (Quelle: V&A, London) |
1790s, Pair of Shoes, Great Britain, No. T.196&A-1914 (Quelle: V&A, London) |
Das dunkle Grün hatte mein Herz gleich höher schlagen lassen. Ein ähnliches Paar wie diese herrlichen Schuhe aus den Wunderjahren der 1790er fertigte ich während der Lektüre von Peter Campers Publikation. Allerdings dauerte die Fertigung ein wenig länger als der Lesegenuss.
Am Anfang stand der Kettstich, der möglichst klein und fein und gleichmäßig ausfallen musste.
Klein, ja. Aber gleichmäßig und fein sieht anders aus. Ich übte eine Weile ehe der Stich meinen Ansprüchen genügte und ich mich zuversichtlich an das Schuhblatt begeben konnte. Mein Muster entwarf ich auf der Pappvorlage des Schuhblattes...
Die Vorlage wird genau auf das Grün "bemahlte" Schuhblatt übertragen...
...bevor es mit Kettstichen gefasst wird...
Und zu guter Letzt dann mit einem Messer entlang der Stiche ausgeschnitten und mit feinem alten Handschuhleder hinterlegt wird:
Die drei Teile des Schuhblattes werden vernäht und vorsichtig mit Leinen verleimt. Dieser, durch die Anleitungen der Schuhmacher belegte, Schritt ist wichtig, um dem feinen Leder (oder der Seide) genügend Stabilität zu geben.
Und dann wird ein Schuh draus':
Die Nähte werden mit Einfassband, das auch gern als "Schnüre" bezeichnet wird, überdeckt.
Wie schon in früheren Blogbeiträgen erwähnt, bediene ich mich nicht der historischen Vorgehensweise des Nähens eines Wendeschuhs, sondern erlaube mir zum Schusterleim zu greifen (meine Handgelenke freut's!) Und ja - ich verwende, auch dies habe ich zuvor schon erwähnt, als Sohlenmaterial kein echtes Leder, sondern eine Sohlenplatte mit Kautschukanteil aus dem Fachhandel.
Die Trageeigenschaften des Schuhs und das "Fußgefühl" beeinflusst das nicht.
Für die Absätze verwendete man Buche, Pappel oder auch ein Nadelholz. Ich arbeite gern mit Fichte, da ich das Holz oft als Reststücke am Lager habe und es dadurch noch eine sinnvolle Verwendung findet.
Die Absatzhölzer haben eine leichte Keilform.
Nach dem groben Zuschnitt geht es ans Schleifen, wobei beide Absätze möglichst die gleiche Form erhalten sollten, aber kleine Unterschiede sind durchaus bei vielen Originalen zu finden.
Die Absätze werden mit weißem Leder verkleidet und an der Brandsohle befestigt, ehe die Laufsohle die Arbeiten am Schuh abschließt.
Die Inspiration der kleinen Seidenschleifen erhielt ich aus dem Buch "Luise. Die Kleider der Königin."
Dort ist unter der Katalog Nummer 12 ein Paar englische Seidenschuhe von etwa 1795 dargestellt, von denen ein Schuh noch eine kleine Schleife im passenden Farbton des Leders trägt.
Die Innensohle ist mit Leinen ausgekleidet.
Durch das Einfassband laufen Schnüre, um den Schuh am Fuß zu regulieren.
Selbstverständlich kommen die Schuhe in eine passende Schuhschachtel.
Von der Mallet Gouache inspiriert haben sich Mme Reeves von Pavillon de la Paix und The Sewing Historian bereiterklärt ein wenig im Schuh-Himmel zu schwelgen. Vielen Dank an euch Zwei für das Vergnügen!
Die Bilder sind mit freundlicher Erlaubnis im Musäus Haus in Weimar in der Ausstellung der Albert Schweitzer Gedenkstätte entstanden.
"Welche Schuhe nehme ich nur?" Wer die Wahl hat, hat die Qual.
"Es sind einfach zu viele, Madame! Und was das alles kostet!"
Foto Copyright: Kerstin Klotsche - Flyingdreams |
Foto Copyright: Kerstin Klotsche - Flyingdreams |
Foto Copyright: Kerstin Klotsche - Flyingdreams |
Und wer die Bilder aufmerksam betrachtet hat, wird noch ein paar weitere neue interessante Schuhe der 1790er Jahre entdeckt haben. Zur Geschichte der Schuhe - und noch ein paar weitere Geschichten rund um die Mode an den Füßen - im nächsten Blogbeitrag, in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft!
Die Fertigung der passenden Schachteln ist ebenfalls ein vorzügliches Handwerk.
Hier wurde die handgefertigte Pappschachtel lackiert und mit einem Goldrand, sowie einer Tuschezeichnung versehen. Ausgekleidet ist sie mit italienischem Marmorpapier aus Venedig, mit dem mich Mme Reeves überrascht hat.
Jawohl, die Trägerin der Schuhe hat sich ganz ungeniert selbst auf der Schachtel verewigt!
Deine wunderbaren Schuhe sind einfach Grandios! Sie sind das i Tüpfelchen zu jeder Kleidung und mit so viel Liebe und Herzblut hergestellt! Es war mir ein Vergnügen sie live zu betrachten!
AntwortenLöschenLG Kerstin
Vielen lieben Dank, auch dafür, dass Du in Weimar im Bertuchhaus bei der morgendlichen Schuhausstellung dabeigewesen bist!
LöschenLiebe Sabine, diese Schuhe sind wieder ein Meisterwerk und die kleine Geschichte dazu ist entzückend :-)
AntwortenLöschenHerzliche Grüße
A.
Herzlichen Dank :-) Es folgen bald noch ein paar Schuhgeschichten, da gibt es noch so viel (wieder-) zuentdecken.
LöschenDank Dir habe ich nun von diesem Schuhtraktat der 80er erfahren! Danke! Ich hätte es noch spannend gefunden, ein Bild von offensichtlich etwas ungleich gearbeiteten Originalabsätzen zu sehen. Ich fürchte, solche Kleinstabeweichungen fallen wohl nur Der Fachfrau ins Auge? Ich hatte mich noch nicht auf dergleichen geachtet. Jedenfalls: Glückwunsch zu diesen schönen Schuhen und der dazu passenden Schachtel, die in der Tat ebenso zierlich wie die Schuhe selbst ausgefallen ist!
AntwortenLöschenVielen Dank für Deinen Kommentar! Es freut mich, dass Dir der Blogbeitrag neue Lektüre beschert hat! Und die Unregelmäßigkeiten einiger Absätze werde ich eventuell in einem künftigen Artikel vorstellen. Einige Schuhgeschichten warten ja noch darauf erzählt zu werden ;-)
LöschenDear Sabine,
AntwortenLöschenYour latest shoe adventure turned out beautifully...what a lovely green. It reminds me of the green used in coloring some plates in Luxus und der Moden.
It must have been such fun to do the little shoe-choosing recreation in Weimar.
Very best,
Natalie across the pond
Thank you very much, Natalie! It was indeed as much fun creating the shoe as it was to giggle about the shoes with some friends in Weimar (especially after I haven't seen them in years due to Covid)
LöschenSabine,
AntwortenLöschenThese are jaw dropping-ly stunning, as usual! The green color is lovely, the cutouts are very cute, and the little bow is just the right touch.
Best,
Quinn
Thank you so much for the compliment, Quinn! I hope a few more interesting shoes will follow over winter, right now I am back at the sewing table.
LöschenOoo, exciting! Looking forward to seeing shoes and other sewn garments/objects. Your projects always bring joy!
AntwortenLöschenBest,
Quinn
Thank you, Quinn! I am a bit slow these days, but will hopefully publish a few more articles this winter
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