Hinter dem etwas sperrigen Titel des heutigen Blogbeitrags, steckt eine Idee, die viele Jahre gereift und durch Recherche und Erfahrung, Fehlschläge und Fertigkeiten, schließlich nach fast genau zehn Jahren ihre Fermentation abgeschlossen hat.
Im Dezember 2015 hatte ich das große Glück ein Konvolut der Bände Juli bis Dezember vom Jahrgang 1793 des Journal des Luxus und der Moden erworben zu haben. Wie sehr die Bände in ihrem feuerroten Mäntelchen dereinst geschätzt wurden, ist daran abzulesen, dass sie noch in den 1790er Jahren von einem Buchbinder von ihren sechs dünnen Umschlägen befreit und zusammen zwischen zwei feste Buchdeckel gefasst worden sind.
Heute blickt man vielleicht mit einem Zwinkern und schiefen Lächeln auf die vergilbten Journale, denn immerhin hat die Digitalisierung in der Nachrichtenübertragung seit 1793 einen Quantensprung hingelegt, aber wenn wir uns die Mühe machen unsere Gedanken von den modernen Errungenschaften zu lösen und Bertuchs Journal mit den Augen seiner Zeitgenossen betrachten, verstehen wir, wie herausragend die Nachrichten und Neuigkeiten in den schmalen Bänden sind, wie schnell das Neuste aus einem brennenden Frankreich an die heimischen Tische gelangte, wie neuste Moden innerhalb weniger Tage von London, Wien oder Paris nach Weimar fanden und wie man sich bewusst war, das Neuste aus Europa in den Händen zu halten.
Und es handelte sich nicht nur um spannende Texte, sondern erstmals schmückten monatlich auch zwei Modetafeln die Ausgaben, nach Vorlagen der Korrespondenten durch Georg Melchior Kraus umgesetzt und in der Zeichenschule farbig gestaltet, Band für Band.
Wir blicken auf die stummen Zeitzeuginnen der Mode, in ihre rosigen Gesichter, auf ihre mit Stolz zur Schau gestellten Kleider, ihre kecken Hüte...
...und mit diesem Empfinden blickte ich damals beim ersten aufgeregten Durchblättern auf die Tafel 32 vom November 1793 des Journal des Luxus und der Moden:
Die linke Dame im Trio der Schönen, deren blass violetter Hut mit der Nummer vier gekennzeichnet wurde, weckte mein Interesse.
Was hat Georg Melchior Kraus da nur wieder im Bild festgehalten? Wie üblich ist die Perspektive ein wenig großzügig ausgelegt, denn die Schleifen sitzen, wie in den frühen 1790er üblich, harmonisch über den Bändern, die vorne auf der Brust liegen, aber um zu zeigen, dass es sich um zwei große Bandschleifen handelt, verrückt Kraus wie gewohnt die Ansicht.
Doch war es nicht dieser Kraus'sche Kunstgriff, der meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern die Struktur des Hutes.
Was war das? Fischschuppen? Tannenzapfenschuppen? Federn?
Glücklicherweise reisten die Tafeln immer in Begleitung von Erläuterungen in die Haushalte, damit die Leserinnen ihre Putzmacherinnen und Schneider bestens anweisen oder in manchen Fällen selbst zu Stoff und Schere greifen konnten.
Ich blätterte ein paar Seiten zurück, genauer gesagt zur Seite 597 der Moden-Neuigkeiten vom Rheine, den 06.November 1793.
[...]Hierbey m.H. sehen Sie auch 6 Töchter des Landes von neuster und verschiedener Form und Schnitt (Taf.31 u. 32) keine Citoyennes revolutionaires in rothen Freiheitskappen, (den diese sind, dem Himmel sey Dank! nur zur Zeit der Pest in Maynz erschienen), nein sondern lauter teutsche Kinder des Friedens. Ich habe nicht nöthig Ihnen einen Commentar darüber zu machen, denn Ihre schönen Leserinnen verstehen gewiß diese leichte Bildersprache ohne Ausleger, und haben einen eignen feinen Sinn für diese Hieroglyphen. Sie sehen, dass an all diesen Formen und Trachten nichts Abentheuerliches, und nichts Uebertriebenes ist; und der Himmel erhalte unsre lieben und schönen Landsmänninen immer bey dieser glücklichen Mittelstraße; den gerade dadurch werden die uns Männern doppelt gefallen. Und gefallen sollen sie immer.[...]
Ähm, nein, lieber Korrespondent vom Rheine, leider fehlt mir heute - etwas über zweihundert Jahre später - ein wenig der feine Sinn für diese Hieroglyphen...und wenn ich ehrlich sein darf, ich habe den Verdacht, auch Kraus hat dieser Sinn gefehlt und er hat einfach nachgezeichnet, was der Korrespondent eingeliefert hat?!
Was also tun? Ich arbeitete mich in den Halbjahresband ein und als mich die Lektüre des Jahres 1793 in meiner Suche nicht weiter brachte, arbeitet ich mich im Bezug auf Hüte und Aufsätze ein wenig weiter in der Revolution zurück und landete im ereignisreichen Jahr 1789.
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| 1789, Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Ausgabe April, Modenneuigkeiten aus Frankreich, Seite 183 (Quelle: Uni Thulb Jena) |
Transkription:
[...]Gauffre heißt eine Honigwabe, auch ein Waffelkuchen, und gauffre einen Zeuch, Flor, Band mit einem warmen auf diese Art figurierten Eisen krauss pressen. Gauffrirter Flor, heißt also immer krauss- oder figurirt-gepressten Flor.
-Man verzeihe uns diese und mehr dergleichen erläuternde Anmerkungen, welche Lesern, welche die Französische und Modewaaren-Kunstsprache verstehen, zwar überflüssig sind, die wir aber, durch mehrere anonyme Briefe dringend dazu aufgefordert, für Leser, welche jene beyden Erfordernisse mangeln, zuweilen werden machen müssen. Alle Französische und Englische Kunstworte in unseren Journalen wegzulassen und Teutsch zu geben, wie man von uns verlangt hat, ist unmöglich, würde Affectation, Dunkelheit und oft Plattheit veranlassen, und dem Style unseres Journals wesentlich nachtheilig seyn[...]
Gauffre!?
Hatte ich die Lösung gefunden?
Nebenbei verneigte ich mich gegenüber Friedrich Justin Bertuchs Offenheit für andere Sprachen, ein schönes Plädoyer von einem Unternehmer, der immerhin Cervantes Don Quijote vom Spanischen ins Deutsche übersetzt hatte.
Aber zurück ins Jahr 1793 und meiner Unwissenheit gegenüber der Rheinischen Bildsprache.
Eindeutig ist, dass es keine Ellen bedruckten Stoffes waren, die für den Hut verwendet wurden. Die Gauffrierung, also das Prägen des fertigen Hutes war eine Möglichkeit, denn die Hüte wurden nicht selten aus dünnem Carton gefertigt und der Stoff aufgeleimt (siehe: Friedrich Justin Bertuch, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 8, 1793, September, Seite 495f), was Prägedruck als Voraussetzung benötigt.
Aber in den 1790er Jahren spielte auch die Verwendung von Stroh eine wichtige, wenngleich heute selten beachtete Rolle. Und ich spreche nicht vom geflochtenen Produkt, sondern von geplätteten und zugeschnittenen Strohhalmen, wie ich sie bei vergangenen Projekten bereits erprobt habe: Tasche aus Stroh und Frankfurter Huth 1796.
Ich sah mich also um und fand tatsächlich einen Hersteller, der blass violettes Stroh auf seiner Webseite führte, aber im nächsten Augenblick hielt die Ernüchterung Einzug, denn der Posten war restlos ausverkauft und da es sich laut Anbieter um eine zufällige Fehlfärbung handelte, war an Nachschub nicht zu denken.
Die Tücken der Strohfärbung waren mir aus meinen vorherigen Versuchen bekannt. Stroh ist ein Naturprodukt, zudem mit einer natürlichen Wachsschicht belegt und es braucht einen umständlichen chemischen Prozess, um die Fasern zu öffnen und die Farbe zu nutzen, wobei das Ergenis sehr stark variieren kann.
Ein Blick in mein Lager offenbarte, dass ich noch ein wenig blaues Stroh hatte, also beschloss ich, weiteres Stroh nachzubestellen und das Projekt endlich in die Tat umzusetzen.
Der nächste Rückschlag - und es sollte nicht der Letzte sein!
Was soll's! Das ganze Unterfangen war dank der fehlenden Beschreibung im Journal ohnehin eine einzige Hypothese, also beschloss ich - und da wurde es authentisch - einfach das Material zu nutzen, das vorrätig war und mir gefiel...in Gedanken formte sich ein Dialog mit einer eifrigen Putzmacherin, die schließlich vom "Goffriren" abriet und stattdessen vorzügliches sächsisches Stroh in verschiedenen blauen Nuancen aus dem Lager holte mit den Worten "Nehmen wir dies, denn Lillas trägt seit letztem Monat ohnehin die halbe Stadt!"
Im Zuge der Verarbeitung werden die Strohhalme für mindestens zwei Stunden in heißes Wasser gelegt. Die gewässerten Halme werden der Länge nach aufgeschlitzt und anschließend mit dem Bügeleisen geplättet:
Danach folgte der Zuschnitt, die Halme wurden in 2 Zentimeter kleine Stücke geschnitten, die 1,2 Zentimeter breit sind. Schließlich werden die unteren Kanten zugeschnitten, um wie Schuppen anzumuten:
Damit war ich dann einige Tage beschäftigt, denn für den Hut hatte ich einen Bedarf von etwas mehr als 700 Schuppen berechnet.
Ja, das sind tatsächlich fast 800 Plättchen, hauchfein und mit einem unvergleichlichen Schimmer, der schon erahnen lässt, dass der fertige Hut nicht ganz die Anforderung an Schlichtheit erfüllt, die man am Rhein lobte.
Gleichgültig ob der Hut nun gauffriert, mit Federn besetzt und vor allem in Violett abgebildet war, mir und meiner inneren Putzmacherin gefiel das Ergebnis!
Und dann war auch schon der Stärkeleim angerührt und es konnte ans Beleimen des dünnen Karton gehen. Ich wählte in diesem Fall eine Graupappe, die ungefähr die Stärke eines Tiefkühlpizzakartons hat: biegsam und wenig anfällig für Knicke.
In den ersten jungen Jahren der 1790er wurden die Hüte mitunter recht spitz und erreichten eine Höhe von 10 bis 17 englischen Zoll, mit flachen Kanten, die 5 Zoll maßen. (Quelle: Journal des Luxus und der Moden, 1790, Jahrgang 5, Oktober, Seite 558, Moden-Neuigkeiten, England)
Im Jahre 1793 hatten sie schließlich eine moderate Höhe angenommen, waren weniger spitz und die kleinere Krempe war in vielerlei Ausformung von flach, bis hochgebogen oder rund zu sehen.
Ich entschied mich für eine Höhe von 15 Zenitmetern, der Durchmesser der Krone verengt sich von 14.5 auf 11 und die runde Krempe hat eine Breite von 7 Zentimetern.
Es dauerte dennoch einige Tage bis die Schuppen ihren Platz gefunden hatten.
Der Glanz ist einfach unbeschreiblich und ich frage mich, warum Putzmacherinnen einige Dekaden später auf die schauderhafte Idee gekommen sind, die Chitinpanzer von Käfern für ihre Kreationen zu verwenden, statt sich auf das Stroh zu besinnen...
Ja und die Umsetzung hätte ein feierliches Ende nehmen können, weißes Seidenband in zwei verschiedenen Stärken war bestellt und geliefert und ich war damit beschäftigt, es wie in der Modetafel in feine Falten zu legen, um es hernach rasch aufzunähen und die großen Bandschleifen an den Seiten nach hinten aufzubringen.
Aber wo das Weiß mit dem hellen Violett schlicht und schön wirkte, sah es mit dem Blau einfach vollkommen deplaziert aus...und ich war ein bisschen verzweifelt.
In dem Augenblick war meine Putzmacherin wieder zur Stelle und riet, ein bisschen hellblaues und dunkles Samtband, tiefblaues Seidenband und hellblaue Poufs und schon wäre der Pfau geschlüpft!
Der neue Hut kam mit passender Hutschachtel ins Haus, bereit bewundert zu werden.
Ja, es ist wirklich ein Pfau geworden und ich bin mir nicht sicher, ob der Herr Korrespondent vom Rhein zufrieden gewesen wäre, aber meine Putzmacheirn ist es - und wie!
Die hellblauen Poufs konnte ich von einem anderen Strohhut nehmen, der leider schon löcherig geworden war.
Die Bandscheifen nach hinten samt Poufs im Detail.
Nach dem Schlingerkurs und all den unerwarteten Rückschlägen, freue ich mich schon darauf, den Hut zu tragen. Diese Art des Strohhutes passt dann tatsächlich zum Erscheinen des Journal des Luxus und der Moden im winterlichen November 1793.
Wieder einmal ist meine Neugierde gewachsen, noch tiefer in die Quellen einzutauchen und Belege zu finden, ob und wie die Stücke von Bertuchs Zeitgenossen umgesetzt wurden.





















