Für mich ist eine Nacharbeitung stets ein wertvolles Lehrstück, bei dem man versucht längst vergessenenen Techniken nachzuspüren und im besten Fall auch eine Einsicht in die Mode und die Umstände der Zeit zu gewinnen. Die Gedanken und Empfindungen der Näherin und Trägerin hingegen bleiben wohl immer Mutmaßungen.
Sind sie den unsrigen ähnlich? Eifrige Hände, die das Kleidungsstück beim Nähen wohl hunderte Male greifen. Die Freude, wenn eine Naht rasch gelingt. Wenn der Ärmel schon beim ersten Versuch ins Armloch passt. Der Unmut, wenn man etwas wieder auftrennen muß. Und das wundervolle Gefühl, wenn man das Kleid zum ersten Mal anprobiert.
Das Kleidungsstück, von dem im folgenden Beitrag die Rede ist, erwies sich als überaus großartiges Lehrstück. Recht unscheinbar wirkte es bei meiner ersten Begegnung, aber da waren viele spannende Details, was sich daraus erklärt, dass es zu einer Zeit entstanden ist, in der ein allmählicher Wandel in der Kleidung stattfand. Englische Modejournale berichteten bereits seit dem Jahr 1793 über eine Veränderung der Mode hin zu einer höheren Taille, während diese Mode in deutschen Journalen nur sehr gemächlich voranschritt und das Journal des Luxus und der Moden sich noch viele Monate weigerte, diesen neuen Kleidern einen Modekupfer zu widmen.
Von all dem erzählt das folgende Kleidungsstück, wenn man sich die Mühe macht zuzuhören und immer wieder Journale, Modekupfer, Briefe und Gemälde zu Rate zieht.
For me personally working with a recreation is a very valuable lesson, in which I try to trace long forgotten techniques and in the best case also gain an insight to fashion and the overall circumstances of the bygone time. The thoughts and feelings of the original seamstress or wearer though remain mere speculation.
Are they close to our ideas? Zealous hands, which grab the fabric often more than a hundred times. The joy, when a seam is finished quickly and even. When a sleeve fits into the sleevehole upon the first attempt. The dissapointment when a seams has to be ripped open again. And the delight upon the first try on of the dress.
The garment, which I will tell more about in the following blogpost, was a marvelous lesson. It made a very plain first impression on me, but then I spied interesting details, because it was a transition garment, that displayed two fashions. English fashion journals already started to write about a change in fashion in 1793, when a higher waist gradually was mentioned, while German fashion journals first tried to ignore it and no sign of this new fashion was published in the Journal des Luxus und der Moden for months after.
These stories are told by the following garment, to those, who are willing to listen and who often ask for advice in journals, plates, letters and paintings.
1790-99 Dress, Accession #1958.09.01 (Quelle/source: Pocumtuck Valley Memorial Association deerfield via Memroial Hall Museum Collection) |
Die Konstruktion des zweiteiligen Kleides habe ich bereits im vergangenen Februar erläutert, allerdings fehlten noch Bilder des Ensembles, das mittlerweile zu meinen Lieblingsstücken zählt.
Es ist eines der Kleider, die es vermögen, einen beim Tragen unverzüglich in die längst vergangene Zeit zurück zu versetzen.
I have already written about the construction of this two-piece ensemble back in February, but unfortunately photos of the entire dress, which has become one of my favourites, were still missing.
Als Hommage an die vielen weißen Kleider der 1790er Jahre fertigte ich meine Nacharbeitung aus einem feinen und festen Baumwollperkale. Bei dem Original fehlt der zu jener Zeit modische Gürtel oder ein Band.
As homage to the white dresses of the 1790s I decided on a fine and firm cotton percale. The original is lacking a belt or a sash.
Als Open Robe bleibt der Stil auch noch nach der Jahrhundertwende in Mode.
The fashion of the open robe remains into the early 19th century.
Der Rücken des Deshabillé Chemisenkleides
The back
Der Gürtel wird in diesem Fall unter dem Kleid hergeführt.
The belt runs under the dress.
Schmale Ärmel, eine hohe Taille und eine bauschige Front.
Snug sleeves, high waist and a fluffy front.
Der Gürtel ist aus einem herrlichen schwarzen Seidenband entstanden, welches ich meiner Freundin Natalie von "A Frolic through Time" zu verdanken habe. Ich hoffe, sie ist mit dem Ergebnis zufrieden. Das Band wurde mit einem Baumwollstreifen unterlegt. Die Schnalle ist eine moderne Nacharbeitung.
The belt is made of black silk ribbon, which was a lovely gift from my friend Natalie from "A Frolic through Time". I hope she likes the result. The ribbon was backed with a sturdy strip of cotton. The belt buckle is a modern recreation.
1796, November, Journal des Luxus und der Moden Tafel 31 (Ausschnitt) (Quelle/source: Uni thulb Jena) |
Ein Blick auf die Konstruktion. Das Kleid wird über dem Rock geschlossen.
A view on the construction. The dress is closed on top of the skirt.
Zu dem Ensemble trage ich eine Chemise (Hemd), einen frühen Schnürleib und einen weiteren Unterrock.
With this ensemble I'm also wearing a chemise, transitional stays and a further petticoat.
Den Kragen füllt ein Mousselin Fichu.
The collar's filled with a muslin fichu.
Die Ärmel werde ich wohl noch ein wenig einkürzen, sie sollten ohne Falten am Handgelenk liegen. Leider sitzen sie auch nicht mehr ganz so eng wie im Februar, weil ich ein paar Pfund verloren habe.
I probably will shorten the sleeves a bit, because there shouldn't be wrinkles at the cuffs. Unfortunately the sleeves do not sit as snug anymore as back in February, because I lost a few pounds.
Der Rock ist rundherum in feine Fältchen gelegt. Er wird vorne mit Bändern geschlossen und mit zwei schmalen Trägern auf der Schulter getragen.
The skirt is pleated all the way around. It is closed with ribbons in the front and worn with two small shoulder straps.
Die zweiteilige Konstruktion
The two piece ensemble
Das Ensemble zusammen mit meinem Flor-Mantel, im Allgemeinen Europäischen Journal auch unter dem Namen Halbsaloppe bekannt.
The ensemble worn with my Flor-Mantel, which is also mentioned as Halbsaloppe in the Allgemeine Europäische Journal.
An geschäftige Tagen verleiht eine Chintz Schürze dem weißen Kleid den nötigen Schutz.
On busy days a black chintz apron keeps the white dress clean.
Die Schürze wird mit einem schmalen Band im Rücken geschlossen.
The apron is closed with a small ribbon in the back.
Eine besondere Verwandlung erfährt das Kleid durch ein einfaches, breites Seidenband. Es erinnert an die Mode der frühen 1790er und in Deutschland wurde diese Trageweise wohl auch um die Jahre 1795/96 oft noch bevorzugt.
Another striking change is made when the dress is worn with a small, long sash over the dress. Then it is a reminder of the early 1790s and in Germany this style was favoured around 1795/96.
Der Beginn der Frühromantik.
The beginning of Early Romanticism.
1795, Oktober, Journal des Luxus und der Moden Tafel 30 (Quelle/source: Uni thulb Jena) |
In Natura ist es grad noch schöner!
AntwortenLöschenWas mich noch so begeistert, ist die Wandlungsfähigkeit Deines Kleides. Da hat sich die viele Arbeit wirklich gelohnt!
Vielen lieben Dank :) Und was für eine Freude, dass das lange dunkle Seidenband, welches schon seit fast 10 Jahren in meinem Fundus schlummert, endlich eine Aufgabe bekommen hat!
LöschenAn unusual dress, Sabine. It suits you well and I like all the different accessories that you can wear with it.
AntwortenLöschenBest,
Quinn
Thank you very much, Quinn. Indeed it is a plain, but very interesting garment and the construction was very new to me :)
LöschenMir gefallen solche lichten, schlichten Kleider außerordentlich gut. Kleidet Dich sehr hübsch, liebe Sabine!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße & schönes Wochenende
von Constanze
Vielen lieben Dank, Constanze! Das Kleid ist ein Lieblingsstück, weil es wandelbar und schlicht ist :)
Löschen