Als eine ganz besondere Herausforderung in der Nacharbeitung erwiesen sich die Schuhe des Modekupfers aus dem Mai 1797 (der Modekupfer samt Beschreibung wurde bereits im letzten Blogbeitrag vorgestellt: Journal des Luxus und der Moden Mai 1797 Tafel 13: der Aufsatz - oder: Fadensaum und Federn).
Nur ein einziger Schuh des Paares lugt vorwitzig unter dem Saum der Falten-Chemise hervor und verrät auf den ersten Blick, das Ensemble folgt der strahlenden Modefarbe in Sachen Schuhwerk in den Jahren 1796 - 1798: gelb!
Und auch in Form und Absatz stimmen sie mit der vorherrschenden Mode überein, sie sind spitzig und mit "plattem" Absatz wie die Beschreibung des Modeblattes verrät.
Einzig der Einschub "schwarz geschnürt" ließ mich mit den Schultern zucken und war der Beginn einer langwierigen aber sehr spannenden Recherche, die mir schließlich zwei (!) Paar Schuhe bescherte...
Friedrich Justin Bertuchs Beschreibung in Bezug auf die "Schnüre" nimmt sich vage aus, wo Georg Melchior Kraus in seinem Modeblatt sehr konkret ist:
1797, Mai, Journal des Luxus und der Moden, Tafel 13 Modenneuigkeiten (Quelle: Uni thulb Jena) |
Aber mit seiner Darstellung stiftet er - nicht zum ersten Mal - einige Verwirrung, denn es sind lediglich zwei Zacken zu sehen, der Rest des Fußes verbirgt sich unter dem Saum des Kleides.
Im Jahr 1796/97 sieht man im französischen Journal des Dames et des Modes häufig spitze, flache Schuhe mit "Schnüren".
An 6, Costume Parisien, Journal des Dames et des Modes Blatt 19 (Quelle: Bunka Gakuen Digital Library) |
An 7, Costume Parisien, Journal des Dames et des Modes Blatt 73 (Quelle: Bunka Gakuen Digital Library) |
Jedoch sind diese Schuhe nicht mit Schnüren auf dem Leder verziert, sondern sie kreuzen sich über dem Spann oder Rist und werden um die Knöchel bis manchmal hinauf um die Wade geschnürt.
Meine Suche ging weiter und führte schließlich zu einem weiteren Modestich, der aufschlussreicher war.
An 7, Costume Parisien, Journal des Dames et des Modes Blatt 72 (Quelle: Bunka Gakuen Digital Library) |
Schnüre auf dem Leder!
Ein vergleichbares Paar Schuhe findet sich sogar als Original, wenngleich der Absatz höher ist, aber man bekommt einen ersten guten Eindruck.
Lady's Blue Silk Satin Shoes, worn 1803 (Quelle: Augusta Auctions) |
Nachdem ich einige Bildquellen zum Vergleich herausgesucht hatte, begann ich die Texte der Modenneuigkeiten aus dem Jahr 1797 im Journal des Luxus und der Moden genauer zu studieren.
Die Schuhe wurden im Mai 1797 auf der Kupfertafel Nummer 13 vorgstellt, dazu der Text vom Berichterstatter aus Frankfurt vom 08.April 1797.
Erstmals erwähnt wurde die Mode mit den Schnüren im Heft vom Januar 1797, dort schreibt der französische Berichterstatter aus Paris am 02.Dezember 1796:
1797, Januar, Journal des Luxus und der Moden, Moden Nachrichten (Quelle: Uni ThUlb Jena) |
Transkription:
[...]aber was wir auf dem Balle bey Wenzel und Richelien mit unsern leiblichen Augen gesehen haben, ist, daß die modischen Damen ganz ohne Strümpfe und Schuhe, bloß mit einer dünnen Sohle unter dem Fuße, die mit Bändern über die Füße leicht angeschnürt war, auf dem Tanzsaale erschienen sind, und an den Fußzehen Ringe hatten. Doch ich muß Ihnen eine Stelle französisch hersetzen: encor si a la jambe fine elles joignoient le pied mignon, le pied chinois - mais de pieds de roi, de pieds larges, comme vos deux mains, des jambes d'elephnat, et des annaux aux pieds. Oh, ma foi, la mode est deliceuse![...]
Tatsächlich, die Mode ist köstlich! Und schwärmt man Anfang April noch von geschnürten Schuhen, erfährt man bereits im Juni und Juli aus dem Journal, dass die Pariser und auch die Berliner Damen der Mode Ende April bereits wieder überdrüssig geworden sind:
1797, Juni, Journal des Luxus und der Moden, Modenneuigkeiten Berlin (Quelle: Uni ThUlb Jena) |
Transkription:
[...]Unsre jungen Damen tragen zwar noch immer platte, ganz fein zugespitzte Schuhe, aber nicht mehr geschnürt[...]
1797, Juli, Journal des Luxus und der Moden, Französische Modenneuigkeiten (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...]Strümpfe und Schuhe.
Schon mit dem Aprilregen verschwanden die schwarzen und feuerfarbenen Bänder, womit Cothurnen bis an die Hälfte des Fußes geschnürt wurden[...]
Der zweite Modebericht enthält dabei einen wichtigen Hinweis, nämlich dass die Schuhe nur auf dem halben Fuß geschnürt wurden.
Damit ergab Kraus Modestich einen Sinn, es war nicht nötig, den ganzen Schuh abzubilden, denn tatsächlich befanden sich die Schnüre lediglich auf dem vorderen Schuhblatt und - die Bezeichnung Cothurne deutet es an - die Schnüre kreuzten sich.
Ähnliches sehen wir auf dem Schuh aus dem Jahr 1798/99:
An 9, Costume Parisien, Journal des Dames et des Modes Blatt 262 (Quelle: Bunka Gakuen Digital Library) |
Und dann ging es an die Umsetzung! Zunächst bemalte ich das feine Ziegenleder mit einem hellen Gelb, ehe die schwarzen Seidenschnüre aufgenäht wurden.
Tatsächlich entspricht das "geschnürte" Schuhblatt dem von Kraus dargestellten Schuh.
Das Paar wurde mit geleimtem Leinen verstärkt und erhielt einen Saum aus schwarzem Leder.
Spitzige, gelbe Schuhe mit plattem Absatz und schwarzen Schnüren.
Der Absatz ist flach, er besteht lediglich aus zwei Lagen Sohlenleder.
Das eingenähte lederne Einfassband.
Die Schuhe, die sich nur wenige Tage im April der Gunst der Frauenzimmer gewiss waren, stimmten mich nachdenklich. Wahrscheinlich war es die fehlende Funktionalität der Schnüre, dass sie derart schnell aus der Mode fielen und in Vergessenheit gerieten, denn Schnürschuhe blieben gegen Ende des 18.Jahrhunderts weiterhin in Mode.
1795-1805, Red Leather Shoes, probably British (Quelle: Met Museum, NY) |
Eine gänzlich andere Wirkung erzielen diese Schuhe mit ihren funktionalen Schnüren.
Die Papiervorlage für das Schuhblatt.
Farbversuche in Rot
Seidenripsband mit Rote Beete gefärbt
Das passende Garn.
Das Schuhblatt wurde auf Leinen kaschiert, um ihm Festigkeit zu geben. Die Schnürlöcher sind - wie beim Original - lediglich in das Leder gestanzt und nicht umstochen.
Der recht flache Absatz wurde aus Holz (Fichte) gefertigt und mit rotem Leder bezogen.
Leider mussten wir in diesem Jahr in Weimar feststellen, dass der Schuhmachermeister Schönkett wohl nur für Herrenschuhe ins Haus Goethe bestellt wurde und er keine Frauenzimmerschuhe für Christiane fertigte.
Die Schuhe tragen sich einfach wundervoll und sie waren auf dem Weimarer Pflaster in diesem Juni meine treuen Begleiter. Leider entspricht mein Gang nicht dem zephyrlichen Ideal einer Charlotte von Stein und das feine Leder der Schuhe mußte auf den Steinen sehr leiden.
Die typischen Abnutzungsspuren der "spitzigen" Schuhe, wie man sie auch bei Originalen oft sieht.
Mit einem bedachteren Gang, der weniger schlurfend ist, besser abrollt und eher auf den Ballen konzentriert ist, lässt sich das vermeiden. Glücklicherweise reichte ein wenig Pflege, um den Schuhen wieder Glanz zu verleihen.