Im Januar 1786 war die denkwürdige Geburtsstunde eines der Lieblingskinder der Göttin Mode:
In Weimar erschien die erste Ausgabe einer neuen Publikation, der staunenden Leserschaft zunächst unter dem Namen "Journal der Moden" vorgestellt.
Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) führte sein Journal, das im darauffolgenden Jahr den Titel "Journal des Luxus und der Moden" erhielt, mit einem äußerst klugen Vorgehen bei der Leserschaft ein: er veröffentlichte das Kapitel "Ammeublement" (Journal der Moden, Heft 1/1786 Januar, Seite 28ff, Friedrich Justin Bertuch, Weimar) mit der Vorstellung der Möbelierung des Grünen Salons.
Dieses herrliche Zimmer im Stadtpalais an der Esplanade wurde bewohnt und bewundert von der Herzogin Anna Amalia (1739-1807)!
Die Weimarer Regentin hatte das Palais, welches 1766 durch Jacob Friedrich von Fritsch (1731-1814) errichtet worden war, im Jahr 1774 nach dem Brand des Stadtschlosses zu ihrem Wohnsitz erkoren.
Der wunderschöne Grüne Salon im Stadtpalais (heute als Wittumspalais bekannt) hat bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren und zeigt sich immer noch möbliert mit den legendären Stücken nach englischer Art des Ebenisten Gottlieb Wilhelm Holzhauer (1753-1794).
1786, Journal der Moden, Heft 1, Januar, Kupfertafel 3, Friedrich Justin Bertuch, Weimar (Quelle: thulb Jena) |
Der Grüne Salon, Wittumspalais Weimar (Foto: copyright F.Robardey) |
Der einladende Raum glänzt mit den ikonischen Tapeten, goldenen Ornamenten, Adam Friedrich Oesers (1717-1799) fantastischem Deckengemälde, Holzhauers geschmackvollen Möbeln und Jakob Philipp Hackerts (1737-1807) Reihe italienischer Bilder, welche um 1799 hinzugefügt wurden.
Jeder Aufenthalt in Weimar führt mich unweigerlich in das Wittumspalais und vor allem in den Grünen Salon, in dem es immer wieder etwas Neues zu entdecken und bestaunen gibt.
Nicht zuletzt das herrliche Grün, das in jedem Licht neue Nuancen zur Schau stellt und sich fotografisch nur schwerlich erfassen lässt.
Auch im Mai 2019 hatten wir dem Palais einen Besuch abgestattet und ich war bei der Heimkehr wie immer voller Erinnerungen, welche die Seele wunderbar zu glätten verstehen.
Wie sehr dieser magische Sehnsuchtsort die Seele erfüllt, erfuhr ich ein paar Wochen später, als ich nach einer größeren Bandscheiben Operation die meiste Zeit des Tages an die Couch gefesselt war.
Zu dieser Zeit reifte die Idee ein Fleckchen Weimar nach Westphalen zu holen.
Meine kleine Bibliothek, ein fensterloser Durchgangsraum in dunkel schwermütigem Rot, beflügelte mich längst nicht mehr, es war Zeit für Veränderung.
Diesmal sollte nicht ich ein neues Kleid erhalten, sondern das Zimmer!
Ich fertigte Skizzen und beschaffte mir Lektüre, um bestens darauf vorbereitet zu sein, mir ein neues Wirkungsfeld zu erschaffen und einzurichten.
Als große Hilfe erwies sich dabei neben dem Journal des Luxus und der Moden und unzähligen Fotos, die Publikation Der Grüne Salon im Wittums Palais in Weimar aus der Schriftenreihe von mobile Gesellschaft der Freunde für Möbel-und Raumkunst e.V. Band 01 von 2007.
Außerdem wanderte eine üppige Sammlung an Farbkarten von Wand zu Wand, dem frühen Morgenlicht folgend bis hin zum abendlichen Schein. Sonnige Tage, bewölkte Tage, ein jeder hinterließ seine eigene Stimmung und bestimmte schließlich das passende Grün für meine zwölf Quadratmeter Weimar.
Im Herbst 2019 war es dann endlich soweit, ich erhielt grünes Licht durch meinen Orthopäden und die Physiotherapeutin und begann gemeinsam mit helfenden Händen die Auflösung des belletristischen Teils meiner Bibliothek.
Auch die Bücherregale eines schwedischen Möbelhauses verabschiedten sich und damit die Trennwand zwischen zwei Räumen.
Selbstverständlich mußten auch die ausgedienten Rauhfasertapeten weichen, allerdings erwiesen sich diese als sehr widerspenstig und widersetzten sich allen Versuchen, sie von den alten Gipskartonplatten zu lösen. Schließlich bekamen alle vier Wände neue Gipskartonplatten und ein paar Tage lang bestimmten Spachteln, Schleifen und viel Staub die Arbeit.
Nach den gefühlt endlosen Vorarbeiten für die Wände, verlegten Monsieur und ich im Herbst endlich die neuen breiten Schlossdielen. Ein lang herbeigesehnter Augenblick, der das Zimmer unmittelbar verwandelte.
Und dann folgte ein baulicher Höhepunkt dem nächsten.
Da die zwölf Quadratmeter, wie bereits erwähnt, ein Durchgangszimmer sind und über keinerlei Fenster verfügen, plante ich an zwei gegenüberliegenden Ecken neue abgeschrägte Wände, die später vis-à-vis mit Spiegeln versehen für mehr natürliches Licht sorgen sollten.
Außerdem bot sich an einer der neuen Wände ein Platz für einen kleinen Kamin.
Wie oft hatte ich dieses Kuriosum in der Vergangenheit in Herrenhäusern bewundert.
Aber zunächst zurück nach Weimar ins Wittumspalais und zu Friedrich Justin Bertuchs niedergeschriebenem Konsum-Königreich, das 1787 den neuen klingenden Namen "Journal des Luxus und der Moden" erhielt.
Und Luxus wurde fürwahr vorgestellt, denn im September 1787 verewigte der Herausgeber abermals Herzogin Anna Amalias Stadtpalais zwischen dem markanten feuerroten Interimseinband. Drei Kapitel über Wandverkleidungen, welche in den Monaten September bis November unter dem Titel "Ameublement: Über Zimmer-Tapezirung" erschienen.
1787, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 2, Heft 11 November, Ameublement (Quelle: thulb Jena) |
Transkription:
[...] Ameublement
a) ueber Zimmer-Tapezirung.
(Fortsetzung von s.329 des Sept.)
3) Tapeten in Oelfarbe gemahlt und lackirt.
Die lackirten Oelfarben-Tapeten sind zwar beträchtlich theurer als die beyden zuvorbeschriebenen Sorten Papier-Tapeten, allein sie sind auch für ein etwas reicheres Ameublement eines Zimmers bestimmt, und überhaupt dauerhafter als jene [...]
Im Grünen Salon hingen demnach Oelfarbene Tapeten (Quelle: mobile, Der Grüne Salon im Wittumspalais in Weimar, Seite 18ff), deren genauere Beschreibung dem Journal zu entnehmen ist.
Diese teuren Tapeten standen allerdings wohl nicht lange in der Gunst der Kunden, denn ein paar Jahre später liest man:
1797, Torkel Baden, Briefe über die Kunst von und an Christian Ludwig zu Hagedorn, Weidmannische Buchhandlung, Leipzig (Quelle: googlebooks) |
Ich entschied mich für meine sechs Wände daher für eine Vliestapete mit einer Grammatur von 150g/qm aus Zellstoff und Textilfasern...und ohne stinkende Oelfarbe!
Zunächst wurde die Wand mit einem Anstrich vorbereitet...
Wie man sieht, konnte ich keinen Adam Friedrich Oeser für die Deckenmalerei meines grünen Zimmerchens gewinnen, aus diesem Grund blieb die Zimmerdecke in schlichtem Weiß und mit einem Zugeständnis an die Moderne: Deckenstrahler....seufz!
Nach all der Vorarbeit rückte schließlich der große Augenblick näher: es ging an die berühmte grüne Wandfarbe.
1787, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 2, Heft 11 November, Ameublement (Quelle: thulb Jena) |
Transkription:
[...] Farben zu dieser Oelmalerey, welche nicht verschießen, sind folgende:
Schön Hellgrün. Man nimmt destillirten Grünspan,[...]
Die wandelbare Mischung aus Gelb und Blau war in der Zeit als der Grüne Salon im Wittumspalais entstand eine beliebte Wahl, auch Johann Wolfgang von Goethe hatte sich in seiner Farbenlehre ausgiebig damit beschäftigt.
1810, Zur Farbenlehre, Erster Band, S.303, Johann Wolfgang von Goethe, Cotta'sche Buchhandlung, Tübingen (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...] 802.
Unser Auge findet in derselben eine reale Befriedigung. Wenn beyde Mutterfarben sich in der Mischung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt, daß Keine vor der anderen bemerklich ist, so ruht das Auge und das Gemüth auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen für Zimmer, in denen man sich immer befindet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird.[...]
Noch ausführlicher erklärt uns Freiherr von Racknitz die Farbe und empfiehlt sie sowohl für Schlafzimmer als auch für die Arbeitsstube:
1796, Joseph Friedrich Freiherr zu Racknitz, Darstellung und Geschichte des Geschmacks, Seite 13, Leipzig bei Georg Joachim Göschen (Quelle:googlebooks) |
Nach ausführlicher Suche fand ich endlich mein "Schön Hellgrün", sowie zwei weitere Grüntöne für die gemalten Kassetten. Mit den Malerarbeiten begann der aufregendste Abschnitt der Umgestaltung meiner ehemaligen Bibliothek in das Amalienzimmer.
Beim Kauf der Farbe erhielt ich die Empfehlung, dass die Farbbahnen während des Trocknungsprozess der Vliestapete nicht ein weiteres Mal mit der Farbrolle übermalt werden sollten, auch wenn es zunächst fleckig wirkt.
Beim Anblick des Farbauftrags half also erstmal nur tief durchatmen und abwarten!
Tatsächlich! Die Farbe trocknete wunderbar gleichmäßig und ich benötigte nur einen einzigen Anstrich!
Im Bild sind die Tapetentür und der künftige Kamin mit Platz für einen Trumeauspiegel.
Der neue Türrahmen, den ich aus mehreren Leisten individuell gefertigt habe, wurde nach dem Streichen der Wand eingesetzt und erhielt dann selbst einen Anstrich in einem beige-grauen Farbton.
Und dann begann die eigentliche Aufgabe:
die Malerarbeiten für die neun Kassetten an den grünen Wänden.
An drei Wänden sollten jeweils drei Kassetten entstehen.
Ich arbeitete mit Washi Band für saubere Konturen.
Die Arbeit verlangt größte Sorgfalt beim Kleben und Malen. Trocknungszeiten müssen unbedingt eingehalten werden, da jedem Farbauftrag einer Kassette ein Abkleben mit Washi Band vorausgeht.
Durch die verschiedenen Farbaufträge erzielt man die Schattierungen, wahre Augentäuscher.
Die meditative Arbeit über viele Tage lohnt sich! Das Ergebnis ist
einfach umwerfend und der Augenblick, wenn man bei jedem Durchgang Washi Bänder
abzieht und die allmählich entstehenden Kassetten betrachtet:
unbezahlbar!
Und zwischendurch immer wieder der vergewissernde Vergleich der Malerarbeiten mit der Ausführung des Originals, denn es galt noch eine weitere Runde Abkleben und Anmalen zu absolvieren.
Foto Copyright F.Robardey |
Ikonisch im Grünen Salon in Weimars Wittumspalais sind auch die Ornamente, welche die Kassetten vervollständigen.
Auch dazu gibt es selbstverständlich einen Beitrag aus Bertuchs findiger Feder im Journal des Luxus und der Moden im November 1787:
1787, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 2, Heft 11 November, Ameublement (Quelle: thulb Jena) |
Transkription:
[...]Wir sagten oben, daß man die sonst nur en basrelief gemahlten Festons, Medaillons und bouts de fleurs, sowie auch die obere große Decken-Leiste in solchen Zimmern von wirklichen Basreliefs von Carton machen könne. Dies thut allerdings mehr Effect als bloße Mahlerey. Unser geschickter Herr Hofbildhauer Klauer hier in Weimar läßt dergleichen Dekorationen in carton machen, und man kann sie bey demselben um folgende Preise haben, die wir nach Taf.32. angeben wollen.
1) Ein großes Medaillon mit Figur in die Felder der Wand 1thl.8gr
2) Feston und Bandschleife dazu 1thl
3) Ein dessus porte mit Medaillon 1 thl
4) Ein Boutde fleurs an die Pilaster 16gr
5) Eine große Rosette an die Thüren 8 gr
6) Die Decken-Leiste, der Pariser Fuß 4gr
Diese Basreliefs werden aufgeleimt und mit kleinen Stiftgen auf die Tapete befestigt, und übrigens auch mit Farbe staffirt, und lackirt.[...]
Die Wirkung von Leisten in Gold staffiert und lackiert waren mir für meinen kleinen Raum allerdings zu überladen, aber die Rosetten auf der Tapete durften nicht fehlen.
Leider konnte ich keine aus Karton (oder aus Gips) finden oder fertigen, aber ich entdeckte einen guten Ersatz aus Metall.
Tada! Trommelwirbel! Die fertigen Kassetten mitsamt den Rosetten.
Erste Möbel ziehen ein, leider keine Stücke aus der Fertigung von Holzhauer, sondern anachronistisch ein paar Dekaden später. Ein Spiegel, ein Demi-Lune-Klapptisch und Leuchter.
Im nächsten Schritt lag das Augenmerk auf der Bemalung des Lambris. Ich wich von dem Grau im Grünen Salon ab und wählte einen Cremeton, der dem kleinen Zimmerchen bessere Dienste tut.
Washi Band und weiße Farbe auf dem Cremefarbenen Lambris.
Dunkle Akzente für den Schatten Effekt.
Aber die Schatten fielen für meinen Geschmack zu dunkel aus, also nochmals alles abkleben und eine sanftere Farbe wählen.
Jaaaa!!! So wirkt der Lambris viel natürlicher. Die Illusion stimmt.
Nachdem die Wandverzierung abgeschlossen war, widmete ich mich der künftigen Kaminwand, wo ein Trumeauspiegel das Licht aus einem Nebenraum einfangen sollte.
Die Ofenecke im Wittumspalais mitsamt Ofenschirm, der im Januar 1786 im Journal der Moden ausführlich beschrieben wurde. Auf einen Ofen in meinem Kämmerchen musste ich verzichten, stattdessen kam ein Kamin an die abgeschrägte Wand.
Der schmale Kaminsims mit Maskarons vor dem Anstrich
Und der selbstgefertigte Trumeauspiegel mit dem Triumphzug von Bacchus und Ariadne.
Kamin mit Maskarons und vergoldetem Feston und Trumeau im feierlichen Zusammenspiel
Nach Wochen des Umbaus war es ein fabelhaftes Gefühl die ersten restaurierten Möbel einzuräumen.
In der Folge der Zeit änderte sich die Möblierung immer wieder ein bisschen, vor allem gesellten sich Alltagsgegenstände wie Bücher, Bilder und Nippes dazu. Oder mein nach dem Journal gefertigter Bücher=Träger von 1800.
Auch Hut-und Schuhschachtel fanden ihr neues Zuhause.
Ein echtes Frauenzimmer entstand.
Ein kunterbuntes Sammelsurium - und damit neues Leben - kehrten in die sechs Wände ein. Ich bin immer noch begeistert von dem "Schön Hellgrün", das sich in jedem Licht wandelt und stets einladend und besänftigend wirkt, selbst nach einem langen Nachmittag am Schreibschrank.
Statt wie im Wittumspalais im Grünen Salon auf Hackerts Italienbilder zu setzen, entschied ich mich für Georg Melchior Kraus (1737-1806) Darstellung des römischen Hauses. Die Bilderrahmen sind ebenfalls selbst gefertigt nach Vorbild des grünen Salons.
Das westphälische Gegenstück ist in Vielem deutlich bescheidener, aber immer wieder an das wundervolle Original Herzogin Anna Amalias angelehnt.
Meine 12 Quadratmeter Weimar, liebevoll Amalienzimmer genannt, haben mir seit der Fertigstellung im Januar 2020 viele schöne Stunden bereitet. Das Zimmerchen tröstet an manchem Tag über die Weimarsehnsucht hinweg und schürt die Wiedersehensfreude mit dem Original.
Ich freue mich schon auf den nächsten Besuch in der Klassikerstadt an der Ilm und Herzogin Anna Amalias kleines Schätzkästchen an der Esplanade.
In diesem Jahr vielleicht besonders, denn 2023 hat die Klassik Stiftung Weimar das Themenjahr "Wohnen" ausgerufen und es warten ab April viele spannende Ausstellungen, allen voran im Goethe und Schiller Archiv "Dichterhaushalt und Lebenskunst - Vom Wohnen um 1800" (31.März bis 02.Juli 2023), sowie die Ausstellung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek "klassisch konsumieren - Bertuch und das Journal des Luxus und der Moden" (01.April 2023 bis 15.Januar 2024).
Klassik Stiftung Weimar Themenjahr Wohnen 2023 (Quelle: Klassik Stiftung Weimar, Logo Design: Ariane Spanier) |
Für mich ist ein Traum wahr geworden: Wohnen wie in Weimar...zumindest auf ein paar Quadratmetern.