Donnerstag, 17. September 2020

...wie ein Englisches Ameublement aus London über Weimar in eine Westphälische Stube kam

 Bereits in den ersten Ausgaben des Journal der Moden (wie das spätere Journal des Luxus und der Moden beim Erscheinen des ersten Jahrgangs 1786 noch betitelt wurde), widmeten sich die Herausgeber Friedrich Justin Bertuch und Georg Melchior Kraus auch den Novitäten, welche die Stuben ihrer Abonnenten fortan zieren sollten: dem Ameublement. 
Möbelstücke und Hausrat, teils von adeligen Haushalten in leicht abgeänderter (sprich: vereinfachter) Form inspiriert, hielten neuerdings Einzug in bürgerliche Wohnungen und Häuser.
Zu Beginn dieses Jahres stieß ich, nachdem ich im Herbst/Winter zuvor eine Stube in unserem Haus frisch renoviert hatte, auf ein solch interessantes Ameublement in der Juniausgabe des Journal des Luxus und der Moden im Jahr 1800, das meine Suche nach einem geeigneten Möbel für Hefte, Karten, Bücher und so manchen Nippes in eine neue Richtung leitete.
Already within the very first year of publication of the Journal der Moden (as the later Journal des Luxus und der Moden was named in 1786), the publishers Friedrich Justin Bertuch and Georg Melchior Kraus added novelties for the rooms, palours and chambers of their readers: ameublements.
Furniture, home decor and hardware, partially inspired and influenced by the households of the gentry, were now also available for middle class homes, albeit plain in style, material and execution.
At the beginning of this year, after renovating a room in our house last autumn/winter, I stumbled upon such an interesting furniture in the June issue of the year 1800 of the Journal des Luxus und der Moden, which led my search for a furniture for my collection of books, booklets and such in a new direction.
1800, Juni Journal des Luxus und der Moden, Ameublement (Quelle: ThULB Jena)

Das niedliche Möbelstück wurde von einem Korrespondenten aus London an den Herausgeber des Journals übermittelt und las sich wie folgt:
The delicate little furniture was introduced by a correspondant from London to the publisher in Weimar and read as follows:
1800, Juni, Journal des Luxus und der Moden X.Ameublement (Quelle: hhu Düsseldorf)

Transkription:
[...]Beyfolgend gezeichnete, sehr elegante schwebende Noten-Repositur (Tafel.18) sahe ich dieser Tage bey einer englischen Dame, der Lady E**. Es hieng so leicht und zierlich über ihren herrlichen Fortepiano, an 4 grünen seidnen Bändern an der Wand, daß mir die Lust ankam, es mit Erlaubniß der Dame für das Moden-Journal zu zeichnen; und ich schmeichle mir, daß manche unsrer schönen Landsmänninnen mir für die Mittheilung dieses kleinen, bequemen und zierlichen Meuble Dank wissen wird. Das ganze besteht bloß aus drei dünnen sauberen Mahagony-oder Birnbaum-Bretern, etwa 2 Fuß lang und 18 Zoll breit, deren jedes an den vier Ecken eingeschraubte, feststehende, messingene oder eiserne Ringe oder Oehsen hat. Durch diese werden vier schöne breite seidene Bänder gezogen, an jedem Ringe mit einer Schleife festgeknüpft, so daß die Breter im Hängen etwa eine Spanne hoch voneinander abstehen, und eben so viele Boden, oder Locate machen; und sodann oben alle 4 zusammen in eine große Schleife geknüpft, damit man den Notenträger an einem schönen Ziernagel an der Wand aufhängen kann. Nimmt man ihn herab, so legt sich das Ganze bequem zusammen, und die Noten können zwischen den Bretern liegen bleiben, und auf Reisen leicht eingepackt werden. Sie sehen leicht, daß dieß zephyrliche Meuble noch auf mancherley Art verziert werden kann.[...]
Translation:
[...]The additional sketch is of a music note repository (Taf.18), which I have seen at the home of an English Lady, Lady E**. these days. It was placed above her beautiful fortepiano so airy and elegant, on four green silk ribbons, that I felt the urge to sketch it for the fashion journal with the permission of the lady; and I'm smitten that some of my fellow German ladies may be very thankful to me for this little, convenient and delicate furniture. The whole thing is made of the thin and clean mahogany or peartree shelves, approx. 2 feet long and 18 inch wide, on all four corners equipped with screwed, sturdy, brass or metall rings or eyes. Through these four lovely wide silk ribbons are pulled, attached on each ring with a bow, so that the shelves are spread away from each other when hung on the wall, and give space for as many boards; and finally they are all knotted together in a big bow to hang the note repository up on a decorative hook at the wall. If you fetch it from the wall, it conveniently collapses, and the music sheets can be kept between the shelves securely for travel. Youwill see that this zephyre-like furniture can be decorated in many ways.[...] 

Also ich weiß dem Herrn Korrespondenten meinen ausdrücklichen Dank! Das zephyrliche Meuble fand natürlich prompt meinen Beifall, aber da ich kein Fortepiano besitze und folglich keine Noten, überlegte ich, auf welche Art man das Stück denn wohl noch verziert hatte.
Während eines frühen Märzmorgens, den ich lesend in meinem Lieblingsfauteuil am Fenster zum Garten verbrachte, entdeckte ich in dem höchst empfehlenswerten Buch Vorgriffe auf das schöne Leben von Boris Roman Gibhardt überraschend die Antwort.
The zephyre-like meuble was promptly  appealing to me, but as I do neither own a fortepiano nor sheets of music, I pondered how else this piece of furniture was assembled.
During an early March morning, which I spend in my favourite reading fauteuil near the window to the garden, I suprisingly found an answer in the book, I've read.
ca. 1805, Wohnzimmer im Haus von F.J. Bertuch (Bildausschnitt) (Quelle: Ausstellungskatalog Paris 2005 Au temps merveilleuses. La societe parisienne sous le Directoire et Consulat, Musée Carnavalet via Ästhetik um 1800, Vorgriffe auf das schöne Leben von Boris Roman Gibhardt, S.297 Abb.20) 

Da ganz rechts in der Ecke von Bertuchs guter Stube, mit Büchern und einer Uhr bestückt, hängt besagtes Ameublement aus London, allerdings nicht mit dem beschriebenen Seidenband, sondern an Messingketten, welche auch nicht durch Ringe oder Ösen an den Brettern geführt werden, sondern durch die Regalböden selbst.
Diese elegante und etwas zurückhaltendere Ausführung gefiel mir wirklich ausgesprochen gut, aber bevor ich meine Leser mit in die Werkstatt nehme, möchte ich nochmals das 583seitige Füllhorn, welches nun schon zweimalig Erwähnung in diesem Beitrag gefunden hat, vorstellen.
There, in the right corner of Bertuch's room was said ameublement from London. It wasn't made with the silk strings, like it was introduced in the Journal, but with brass chains. These chains weren't attached to rings, but led through holes in the boards.
This model met my taste much more than the one with the silk ribbons.
But before I ask my readers to follow me to the work bench, I'd like to say a few more lines about the book publication, which I've already mentioned two times.
(Please note: the following short passage is not translated as the book is currently available only in German language!)

Das Werk, das 2019 im Wallstein Verlag erschienen ist, beschäftigt sich mit den vielschichtigen Zusammenhängen zwischen der Weimarer Klassik und Pariser Mode um 1800 und hat meiner Freundin und Kollegin Alessandra von Pavillon de la Paix und mir seit dem März so manche tiefgreifende Diskussion beschert.
Die unglaubliche Fülle an Wissen, reich untermauert durch Primär-und Sekundärliteratur, zeichnet ein umfassendes und faszinierendes Bild der Kultur und des Konsums Ende des 18.Jahrhunderts zwischen Paris und Weimar, zwischen dem Journal des Dames et des Modes und dem Journal des Luxus und der Moden, zwischen Künstlern und dem erstarkenden Bürgertum. Dank dieser Lektüre und der ausführlichen Bibliographie ist mein Bücherstapel auf schwindelerregende Höhen angewachsen und mein Notizbuch voll!
Vorgriffe auf das schöne Leben ist anspruchsvolle wissenschaftliche Literatur, die zum Weiterdenken und -forschen anregt. Der Autor eröffnet mit jedem Kapitel viele neue und wichtige Denkanstösse und es gelingt ihm, meiner Faszination für das Journal des Luxus und der Moden neue Nahrung zu geben.
 
Zurück zur Fertigung des Möbels, das mich besonders auf dem Bild aus Bertuchs Stube mit seiner Modernität der Form überraschte. 
Leider hatte ich kein Birnbaumholz mehr in der Werkstatt (im März war es durch Corona mitunter schwierig Material zu erwerben), also wählte ich drei Bretter aus 12mm Schichtholz und furnierte es mit Birnbaum. Der Zuschnitt erfolgte entsprechend dem Platz, den ich an der Wand habe und unter Beachtung der Ästhetik der Gesamtform: 50 x 20 Zentimeter.
Back to the making of the furniture, which really surprised me in Bertuch's home with it's incredible modernity in style.
Unfortunately I had no peartree wood (due to Corona shopping was a bit difficult in March), thus I'd chosen three shelves of 12mm laminated wood and veneered it with peartree sheets. The cut and measurement were made according to the space on the wall and following the aesthetics of the original shape: 50 x 20 Centimetres.
 


Die Oberfläche wurde mit Schellack bearbeitet. Im Bild sieht man rechts ein unbehandeltes Brett, links ein Brett mit Einlasspolitur und erster Grundierung. Durch den Schellack erhält das Holz nicht nur einen schönen Glanz, sondern auch einen natürlich warmen Farbton. 
Statt der Seidenbänder wählt ich - wie bei Bertuch Daheim - vier Messingketten, welche mit Ringen in den gebohrten Löchern verankert sind.
An die Wand kam ein Draperiehalter aus Messing.
The surface was treated with a shellac finish. The right shelve in the picture above shows an untreated piece, the left with the first two prime coats. The shellac does not only provide the wood with a lovely shine, but also with a warm natural colour tone.
Instead of the silk ribbons, I've followed Bertuch's example and chosen a brass chain, which is ankered in the drilled holes with little brass rings.
I used a drapery hook for the wall.

Die Leichtigkeit des Möbels an der Wand hat in der Tat etwas "zephyrliches".
The airiness of the furniture at the wall has indeed something "zephyre-like".


Die Ketten werden durch Haken am Halter eingehängt. Das Möbel kann auf diese Weise jederzeit leicht herabgenommen und zusamengelegt werden.
The chains have little hooks, which are attached to the main hook. The furniture can easily be lifted from the wall to be folded together. 

Das Englische Ameublement begeistert mich vor allem, weil es gut durchdacht, elegant und sehr modern ist. Die Wohnkultur um 1800 ist nicht minder interessant als die Kleidermode.
I am very fond of the English Ameublement, because it's well thought-out, elegant and modern. The home decor around 1800 is as fascinating as clothing.



Die neu gewonnene Ablagefläche erlaubt es mir zudem, meine Sammlung an Theaterstücken, Heften, Journalen und Nippes noch ein bisschen zu vergrößern...vor allem mit Journalen, die ja erwiesenermaßen nicht selten dazu führen, dass man auf viele interessante Dinge stößt, die es durchaus verdient haben nach 220 Jahren wiederentdeckt zu werden!
The new space on the wall allows me to expand my collection of theatre plays, booklets, journals and such...well, especially journals, because they contain such amazing things, which have slumbered for more than 220 years, waiting to be redicovered!

9 Kommentare:

  1. Das Regal ist wunderbar stimmig in dem Raum; es ist von einer eleganten Simplizität, die einfach passt, sowohl in die damalige Zeit, wie auch in die Moderne.

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    1. Vielen Dank! Ich bin auch jedes Mal wieder überrascht, wie modern manche Möbel und Gegenstände anmuten, dabei sind sie oft von schlichter Eleganz und fast immer handwerklich überzeugend.
      Es war eine Freude dieses Ameublement nachzuarbeiten und ich hoffe in nicht allzu ferner Zukunft können wir darunter bei einer Tasse Thee über das ein oder andere Buch debattieren!

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  2. Ein zeitloses Regal, das zudem noch flexibel zu handhaben ist. Sehr schön!

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    1. Dankeschön! Das Journal des Luxus und der Moden war/ist eine wirklich universelle Zeitschrift und birgt noch so manche spannende Entdeckung :)

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  3. Lieberman Sabine,

    Echt chic, dieses Moebel! Meine Mutter hat immer gesagt, dass Die Moebel und Desin von England und Ecken von Deutschland und Skandinavien, zwischen 1780-1800, wirklich Zeitlos waren. Stimmt! Schau nach "Hepplewhite" und Sie werdet sehen.

    Ich such ein Hepplewhite Tafel immer nach, wie bei meiner Mutter. Es hat kleine Markierungen darunter, wo jemand seinen Nähvogel verankert hatte, Jahre und Jahre zuvor. Ich mag es so...

    I wish you joy of your shelves. They are just right for that room. To think, much of it is from your hands and thoughts, and much of the rest handmade. What a happy space.

    Hugs,

    Natalie

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    1. Vielen Dank, Natalie! The furniture of that period are really beautiful in their simplicity and they give space for other details in the room to emphazise...my little green salon is truly a happy place and it fills me with joy to build, restore and create all the many details in there...wish I could invite you over for a cup of tea :)

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  4. Das ist ein wirklich zeitloses elegantes und schlichtes Möbel. Ich liebe Deine Art die Quellen widerzugeben und zu verwenden - sowohl für die Rekonstruktion als auch für die Präsentation hier im Blog. Weiter so! Das motiviert unbedingt!

    LG

    Amti

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    1. Herzlichen Dank! Das Möbel aus dem Journal musste einfach sein, denn auch die Inspiration für das gesamte Zimmer stammt natürlich aus Weimar (Herzogin Anna Amalias Grüner Salon)...eigentlich steht darüber noch ein Blogbeitrag an, aber inzwischen habe ich soviel Material und Quellen angesammelt, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll...

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    2. Das Problem kenne ich. Wobei die Auswahl und das Auffinden der zahlreichen Fotos dann auch so ein Aufwand ist. Aber Deine Beiträge egal wie viele sind für mich wie ein Juwel und ich mag Deinen ästhetisch ansprechenden Stil, den ich in unserem Blog wohl nie hinbekäme. Vielen Dank fürs Neugierigmachen!

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