Montag, 11. März 2024

Familienzuwachs: Die Berlingers

 Wenn ich nicht gerade die Nähnadel schwinge oder über Büchern gebeugt recherchiere, widme ich mich  (wie sicherlich so mancher "Leidensgenosse")  ab und zu dem Auktionshaus mit den vier Buchstaben.
Und bei eben diesem Zeitvertreib stieß ich vor ein paar Jahren - mein geliebtes Amalienzimmer stand kurz vor der Fertigstellung - zufällig auf drei kleine Miniaturen, welche glücklicherweise nicht wie üblich in einzelnen Auktionen auseinandergerissen, sondern gemeinsam im Familienverbund angeboten wurden.
Zu meiner großen Überraschung erhielt ich den Zuschlag, denn leider - aber zu meinem Glück - war das Interesse anderer Bieter eher gering.
Findige Leser werden die Familie Berlinger sicherlich schon auf dem einen oder anderen Foto des Amalienzimmers erspäht haben.

Das Wernigeroder Ehepaar mit Tochter traf in eher schlechter Rahmensituation bei uns ein, denn die kleinen Leinwände ragten auf der Rückseite ungesichert und lose aus den vergoldeten Rahmen hervor.
Auch wenn die Rahmung zu wünschen übrig ließ, war doch jede Miniatur mit den Lebensdaten der Dargestellten versehen: ein Glücksfall!


Die Dame des Hauses trägt den Namen Sofie Elisabeth Berlinger, geb. Klinger. Sie wurde 1746 in Salzdetfurth geboren und verstarb 1809 in Wernigerode.
Sie blickt in Augenhöhe auf ihren Gatten Johann Christian Berlinger, Goldschmied in Wernigerode.
Geboren 1736 in Nordhausen und 1813 in Drübeck verstorben.
Die Dritte im Bunde ist ihre Tochter Johanne Berlinger, verh. Fritsch. Sie erblickte 1776 in Wernigerode das Licht der Welt und verstarb 1822 in Ilsenburg.
 
Zunächst entfernte ich die kleinen Gouachen aus ihren Rahmen, was sich recht einfach darstellte, denn wie erwähnt, waren die kleinen, auf Rähmchen gespannten Vellum-Miniaturen, nur lose in den Rahmen eingeklemmt.

Die Miniaturen messen 12 Zentimter mal 15 Zentimeter, das Oval 9,5 Zentimeter mal 12 Zentimeter.
Die Rahmen stammen zwar nicht aus der Entstehungszeit, aber immerhin waren sie passend, also sägte ich kleine Leisten zu und leimte sie rückwärtig an, um den Minaturen Halt zu geben und zu verhindern, dass die genagelten Seiten einer Reibung ausgesetzt sind oder verstauben können.

Ausgerahmt war es mir möglich, die Miniaturen genauer zu betrachten.

 

Der Hausherr ist sehr elegant gekleidet in einem strahlend blauen Frack mit wunderschönen großen Knöpfen, einer feinen Weste und einem luftig zarten Hemd mit schwarzem Halstuch.

Vermutlich sind es - seinem Metier entsprechend - Silberknöpfe.


Bei der Anfertigung der Miniatur zählte er 61 Jahre.


Seine Gattin ist im Gegensatz dazu eher schlichter gekleidet, lediglich ihre adrette Haube und die kleine Agraffe am hauchzarten Fichu veraten ihren Geschmack.


Sie trägt ein dunkles Kleid. Ihr Blick ist klar und aufrecht. Sie schaut ihrem Mann direkt in die Augen.
Um den Hals trägt sie eine schwarze Perlenkette.
 



Im Gegensatz zu dem Portrait des Johann Christian Berlinger, ist die Gouache in der rechten unteren Ecke signiert:

H.de Lamare fecit
Wernigerode 1797
Das Bild der Tochter Johanne trägt die gleiche Signatur:


Johanne Berlinger trägt die typische stufig geschnittene Frisur junger Damen in den 1790er Jahren.
Pony, kurze Seiten, und lange offene, teils gelockte Haare bis zur Taille, die mit wenigen Handgriffen zu einem Chignon gefasst werden können.

Im Bürgerbuch des Stadtarchiv Wernigerode unter dem Eintrag Band IV/365 wird Johann Christian Berlinger [...]aus Nordhausen gebürtig von Profession ein Goldschmidt[...] in einem Eintrag vom November 1770 erwähnt.
Bei meiner weiteren Suche stieß ich gar auf eine seiner Arbeiten, eine Zuckerdose in Silber.

um 1775, Zuckerdose 750er Silber mit Punzen, Höhe 11 cm, Gewicht 320 gr. Auktion 11.Juni 2016 Lot 598 (Quelle: Kastern Auktionen, Hannover)

Der Auktionstext gibt einen weiteren Hinweis auf die Tätigkeiten Johann Christian Berlingers:
 
Wolfgang Scheffler, Goldschmiede Mittel-und Nordostdeutschlands, 1980, Seite 552 (Quelle: googlebooks)

 Die verwendete Punze der Werkstatt Johann Christian Berlingers konnte ich allerdings nicht finden.

Der zweite Name in diesem Zusammenhang erwies sich in Sachen Recherche ebenfalls als fruchtbar.
Zunächst stieß ich auf einen Eintrag auf der Seite von Neil Jeffares Pastels & Pastellists über den Pastellmaler A.H.U. de Lamare
Der Maler wurde 1760 in Braunschweig geboren und verstarb 1807 in Holzminden, wo er als Zeichenlehrer beschäftigt war. Allerdings gibt es einige Verwirrung um den Namen, denn es gibt weitere Signaturen, die von ihm und möglicherweise seinen Brüdern verwendet wurden.
Ich folgte zunächst dem Hinweis von Pastels & Pastellists auf die Online Datenbank im Herzog Anton Ulrich Museum (HAUM) in Braunschweig und entdeckte auf der Seite der Miniaturen folgende Darstellung:
1791, Dame mit kunstvollem Kopfputz, A.H.U.de Lamare, Elfenbein, 12.3 x 9.4 Zentimeter, GG min 55 (Quelle: Digitales Bildarchiv Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig)

Im Städtischen Museum Braunschweig über die Deutsche Digitale Bibliothek erfolgte der nächste Treffer und dieser erwies sich als sehr vielversprechend, denn der Ausdruck der Miniatur ist verblüffend ähnlich.
vor 1800, A.H.U. de Lamare, L.P.A.de Lamare aus Braunschweig, Peintre en Miniature, Zeichenlehrer aus Holzminden (Quelle: Deutsche Digitale Bibliothek)

Und dann unerwartet ein Volltreffer, der Maler höchst persönlich abgebildet im gleichen Stil wie die Familie Berlinger und L.P.A. de Lamare.

1800, Selbstbildnis A.H.U. de Lamare, Braunschweig Städt.Museum, rückseitig beschriftet (Quelle: Graphikportal)

Es ist immer wieder eine schöne Erfahrung, nicht nur die Kunst, sondern auch den Maler selbst im Bild festgehalten zu sehen. Die Seite des Graphikportals entpuppte sich dann zu meiner großen Begeisterung als wahre Fundgrube mit vielen weiteren Portraits von de Lamares Hand. 
Und wenn dann noch ein handschriftlicher Eintrag in einem Stammbuch hinzukommt, schwebt man als Sammler in höheren Sphären:
 
Stammbuch des Ludwig Julius Lemcke aus Braunschweig, Laufzeit 1786-1834, Eintrag 97: H.de Lamare 1.October 1792 mit Landschaftsbild, Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel (Quelle: Arcinsys)
 
Transkription:
Nicht im goldnen Königs-Saale,
wohnet die Zufriedenheit
Nur im niedern Blumen-Thale
hatt sie Tempel sich geweiht.
 
Hiermit erinnern Sie sich Ihres ganz ergebenen Freundes H.de Lamare 
 

Auch im Kunsthandel Boris Wilnitsky Fine Art findet sich ein de Lamare

1794, A.H.U. de Lamare, Portrait of an aged Lady, #34812 (Quelle: Boris Wilnitsky Fine Art)

Ebenso wie in der Münchener Saxonia Galerie
1793, A.H.U. de Lamare, Maria Dorothea Antonetta von Hobe (Quelle: Galerie Saxonia)

 Im Schatten bleibt die Geschichte der Entstehung meiner Miniaturen. Wie nahm Johann Christian Berlinger Kontakt zum Maler auf? Wann reiste A.H.U. de Lamare nach Wernigerode? War er auf der Durchreise? Wie verliefen die Portraitsitzungen?
Was kostete der Auftrag an den Maler?
Familie Berlinger schweigt dazu und bevorzugt es lediglich meine Wände zu schmücken und sich bewundern zu lassen.
Dennoch bin ich froh wenigstens ein bisschen über die Drei und ihren Maler herausgefunden zu haben und sie durch diesen Beitrag wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.

4 Kommentare:

  1. Da hast Du drei wirklich schmucke Mitbewohner in Deinem Boudoir, liebe Sabine! Die Qualität der Malerei ist hervorragend. Besonders schön ist, dass es Dir gelungen ist, weitere Arbeiten von de Lamare zu finden! Ich fürchte, dass es noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird, bis es Dir gelingt, wenigstens die eine oder andere Frage, mit denen Du Deinen Bericht beschliesst, zu beantworten. Vielleicht fänden sich in einem Wochenblatt der Region Werbeanzeigen von de Lamare? Oder meinst Du, der Maler hatte Werbung nicht nötig und malte nur auf Einladung? Jedenfalls wäre es möglich, dass sein Name in Pressetexten nachgewiesen werden kann. Wir bleiben gespannt auf Deine weiteren Entdeckungen. Das Schöne an Deinem Artikel ist, dass wir nun wissen, dass die Familie vorerst noch lange beieinander bleiben darf und das in einem ihr würdigen Kontext.

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    1. Vielen lieben Dank für den ausführlichen Kommentar! Als ich die Miniaturen erworben habe, war die Datenlage noch dürftig und heute, kaum, dass ich den Blogbeitrag niedergeschrieben und veröffentlich habe und noch eine Quelle eingehender studieren wollte, finde ich plötzlich ein paar neue Beiträge über de Lamare, die ich selbstverständlich umgehend eingepflegt habe. Zwar bringt es keine Antworten auf meine Überlegungen, aber es beleuchtet de Lamares Person noch ein bisschen genauer - was für eine große Freude! Deinen Vorschlag mit den Wochenblättern werde ich auch noch prüfen, herzlichen Dank für den Tipp!

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  2. What fabulous fnds! They will dress the walls of your very special room beautifully!

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    1. Thank you, Angela! I am truly fond of the family, their painter and the history behind them!

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