Montag, 22. Februar 2016

1795/96 Engländisches Deshabillé Chemisenkleid

Vor einigen Wochen führte mich ein Netzspaziergang zu einem sehr spannenden Kleidungsstück, das mir augenblicklich den Wunsch bescherte, es nachzuarbeiten.
Bei dem Kleid handelt es sich um ein Überkleid oder Überrock  mit dazugehörigem Rock aus der Sammlung des Memorial Hall Museum. Geführt wird es als 
Es handelt sich um ein amerikanisches oder englisches Kleid aus englischer oder indischer bedruckter Baumwolle.
Besonders faszinierend ist die Konstruktion der genannten 1790er Chemise (Hülle), es ist also nicht aus einem Oberteil und Rock gefertigt, sondern der Stoff wurde komplett in Falten aufgelegt. Eine Technik des 18.Jahrhunderts, die später in den 1790ern und ab 1800 noch eine Zeit bei sogenannten "open robes" kennzeichnend bleibt.
Auch die Art und Weise, wie die Ärmel eingesetzt wurden, entspricht der Konstruktion des 18.Jahrhunderts. Das Stück aus der Sammlung Memorial Hall Museum ist also ein gelungenes Beispiel für den allmählichen Übergang der Kleidungsstile und vermutlich der Mitte der 1790er anzusiedeln. 
Die verfügbaren Bilder, selbst in der Vergrößerung, geben nicht all ihre Geheimnisse preis. Es ist beispielsweise nicht ersichtlich, ob das Stück umgearbeitet wurde. Bei der Nacharbeitung habe ich versucht mich nahe an das Original zu halten, soweit das Bildmaterial es zuließ.
A few weeks ago a stroll through the depth of the world wide web led me to a most interesting garment, which instantly lit my wish to re-create it.
The dress is an open robe with matching skirt from the Memorial Hall Collection. It is listed as
It's estimated to be an American or English dress, made of English or Indian printed cotton.
The garment called chemise is especially fascinating, which means, the dress isn't made of a separate bodice and skirt, but made of yardage put in pleats. An 18th century technique,which later in the 1790s and around 1800 remains characteristic for so-called open robes.
The way the sleeve is set in, corresponds with the 18thcentury construction. The garment from the Memorial Hall Museum is a wonderful example how the styles gradually developed and was probably made mid 1790s.
The available pictures, even in high-res, don't give away all the secrets. It's unfortunately not clear whether the garment might be altered. I tried to keep my recreation truth to the original as far as the photo material allows it.

Bei dem Stoff war ich zu einigen Zugeständnissen gezwungen, als Material wählte ich einen Stoff aus meinem Vorrat, einen unbedruckten Baumwollperkal, der 80 Zentimeter breit liegt und von hoher Qualität ist.
I however made concessions with the fabric, I've chosen a high quality (albeit unprinted) cotton perkale from my stash, which is 80 centimetres wide.
Der Stoff wird in Falten auf das Futter gelegt und mit Punktstichen festgenäht. Die Falten sind frei gelegt, es kam also kein Lineal zum Einsatz, sondern lediglich Augenmaß.
Ich habe drei Stoffbreiten (sprich: 2.40 Meter) gewählt.
The fabric is laid in pleats on the lining and then stitched down with spaced backstitches. The pleats aren't measured with a ruler, I entirely relied on visual judgement.
I took three width of fabric (means: 2.40 metres)

Der Rücken ist sehr kurz, wodurch die Falten einen schönen Fall haben.
The back is very short, which gives the pleats a nice flow.

Das Futter aus einem groberen Baumwoll/Leinengemisch.
The lining is made of a cotton/linen blend.

Die Front sitzt sehr hoch.
The front is quite high.
Die Flügel des Futters werden mit Nadeln gesteckt. Die Front mittels Bändern, die durch zwei Tunnel geführt wurden. Das Baumwollband entspricht Bändern, wie sie auch bei Originalen eingesetzt wurden.
 The front lining is closed with pins, while the perkale is closed with ribbons running through canals on top and bottom of the front. The plain cotton ribbons match those used on originals.

Die Falten wurden vorn nicht komplett bis auf die Kante festgenäht, was vermuten lässt, dass dort ein breites schmückendes Seidenband durchgeführt wurde.
The pleats in the front aren't stitched down to the edge, which might be a hint, that the dress was worn with a silk sash.
Ein Blick auf das Futter.
The front lining.

Nahaufnahme der Nähte im Rücken.
Close-up of the seams in the back.

Der Stoff besteht aus sehr hochwertigen Fäden und ist fest, dabei aber wunderbar leicht. Hält man das Oberteil gegen das Licht erkennt man die Stiche, mit denen die Falten aufgenäht wurden.
The fabric is made of high quality threads and is quite firmly woven, yet amazingly light. If the bodice is placed against a window it reveals the holes of the stitches, which have been used to attach the pleats.

Das Futter zeigt hier die Konstruktion des Ärmels. Eine sehr gute Anleitung von Katherine Caron-Greig, um den Ärmel in dieser Methode einzusetzen, findet sich auf der Seite von Your Wardrobe unlock'd "Setting in 18th c. sleeves".
The lining reveals the construction of the sleeves. A very good tutorial by Katherine Caron-Greig on setting in the sleeves in 18th century method can be found on Your Wardrobe unlock'd "Setting in 18th c. sleeves".
Der eingesetzte Ärmel von Außen.
The set in sleeve.

Die Konstruktion hat mich einiges an Nerven gekostet, denn der Ärmel sollte sehr eng anliegen, aber anders als die Ärmel in der oben beschriebenen Methode finden sich beim Original des Memorial Hall Museum keinerlei Falten am Ärmelkopf.
The construction was quite challenging, as the sleeves should be very snug, but different to the tutorial linked above, the original dress at the Memorial Hall Museum has no pleats on the sleevehead.

Es brauchte einige Versuche, um schließlich einen Ärmel zu bekommen, der sich ohne Falten einsetzen ließ und Bewegungsfreiheit gewährt.
It took me several attempts to create a sleeve without pleats, but which allows free movement.

Der Ärmel wird aus einem Stoffstück gefertigt, wobei es eine kurze Naht vom Ellenbogen bis zum Handgelenk gibt und eine lange Naht von der Schulter bis zum Handgelenk. Auf dieser zweiten Naht liegt stets viel Spannung, ich habe mich daher gegen einen Rückstich entschieden, sondern beide Teile mit dem doppelten Saumstich vernäht.
The sleeve is made of one piece with a short seam from the elbow to the cuff and a long one from the shoulder to the cuff. This second seam is prone to tension, hence I did not assemble it with aback stitch, but with the doppelter Saumstich (doubled seamstitch)
Derzeit arbeite ich an dem Rock, aber damit ist das Ensemble noch nicht fertiggestellt. Es sind noch ein früher Spencer und ein passender Hut geplant. 
Folglich werden noch einige Blogbeiträge zu erwarten sein :)
Meanwhile I've started with the skirt, but this doesn't mean the ensemble will be finished soon. I also plan a matching spencer and a hat.
More blogposts to come :)

5 Kommentare:

  1. Auf Deinem Blog wird es wirklich nie langweilig. Du hast ein Händchen dafür, Ungewöhnliches aufzutun. Wie schön, dass es Dich in die 1790er verschlagen hat. Gerade die Übergangszeiten vom einen Modeextrem zum anderen sind sehr interessant. Da ich mich mit dieser Dekade bislang nur am Rande beschäftigt habe, finde ich es umso spannender, von Dir ein Kleid präsentiert zu bekommen, das sowohl Merkmale der "alten" Mode, sowie der "neuen" vereint. Auch die Ärmel mit der halben Naht sind sehr interessant, habe ich so bislang noch nicht gesehen.

    Liebe Grüße
    Emily

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    1. Vielen lieben Dank :)
      Ich finde das Kleid auch sehr spannend, schade dass die Bilder und Info des Originals nicht noch ein wenig aussagekräftiger sind...

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  2. Zu allererst vielen Dank für die tollen Detailaufnahmen! So kann man sich das Kleid gleich noch viel besser vorstellen!
    Ich galub ich wäre verzweifelt an den Falten! Ich weiß ja, wie lange du daran gesessen hast, dafür hat sich echt jeder Stich gelohnt! Du wirst darin wirklich super fluffig aussehen! Durch dich schlichtheit des Stoffes, kommen erst die Details erst richtig zu Geltung!
    Es ist immer wieder ein Vergnügen deinen Blog zu lesen!

    Liebe Grüße, Kerstin

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    1. Dankeschön :)
      Das Tüfteln macht wirklich großes Vergnügen, allerdings ist der Stoff ungeahnt widerwillig. Die feinen Fäden sind so dicht gesponnen, dass man ohne Fingerhut kaum vorankommt.

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  3. Ein wunderschönes Stück!!! Ich freue mich auf die restlichen Teile des Ensembles! lg, eva

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