Montag, 1. März 2021

Mit Schirm, Charme...und Sonnenschein!

Der zurückliegende Februar hatte es wirklich in sich! 
In der einen Woche rutschten die Temperaturen hier in Westfalen unter -15° Celsius und wir hatten reichlich Schnee, um in der darauffolgenden Woche auf ungeahnt frühlingshafte +17° Celsius zu klettern, frei nach dem Motto: Februar ist der neue April!
Und es ist ja sicherlich allgemein bekannt, dass sich bei dem ersten Sonnenschein ein besonderes Schauspiel im Freien ereignet. Durch die ersten warmen Sonnenstrahlen geweckt, beendet der possierliche gemeine Sonnenschirm (lat.umbrella parasolii minor) den Winterschlaf.
Hier ist ein nordeuropäisches Exemplar kurz nach Beendigung der Winterruhe.

Bei Temperaturen über 15°Celsius dauert es nicht lang, ehe sie sich ausstrecken und in voller Pracht präsentieren!

Gestreckt erreicht dieser ausgewachsene Sonnenschirm eine Länge von 68 Zentimetern und eine Spannbreite von 48 Zentimetern, damit gehört er zu den eher kleinen Exemplaren.


Ist das nicht ein herrlicher Anblick im ersten Vorfrühlingssonnenschein?
Mit dieser Schönheit lockt er auch nicht selten artfremde Weibchen an...
Aber nicht nur Sophie ist begeistert von dem Schirm, sondern auch ich habe mich riesig gefreut, als mein ehemals recht heruntergekommener Schirm aus Turin zurückgekehrt ist.
Dort hat das kleine Schirmchen bei Parasols & Co. durch Antonias Handwerkskunst zu einem dritten Leben gefunden.
Ihr Service und ihre Beratung sind absolut empfehlenswert, wobei man als Kunde über jeden Schritt der Wandlung in Kenntnis gesetzt wird. Antonia hat mir, nachdem der Schirm von seinen verfransten Seidenresten befreit und das Gestellt justiert und gereinigt war, eröffnet, dass der Schirm aus den 1830er Jahren stammt und in den 1860ern erstmals umgewandelt worden war, wobei die Fischbeinstäbe einfach unfachmännisch eingekürzt wurden, ehe er einen neuen Bezug erhalten hatte.
Ich entschied mich für eine schlichte Neugestaltung und wurde nicht enttäuscht!
 



 
Für den Schirm wurden in den 1830er Jahren Fischbeinstäbe und Elfenbein benutzt, diese Produkte unterliegen heute glücklicherweise dem Artenschutzabkommen und dürfen nicht mehr gehandelt werden.


Mein Parasol ist nicht nur am Griff klappbar, sondern weiter oben sitzt ein weiteres Gelenk, durch welches das Dach abgeknickt werden kann, sodass der Schirm die Funktion eines Fächers übernimmt.


Kaum hielt ich meinen Sonnenschirm nach der Reparatur in den Händen und erfreute mich an all seinen Besonderheiten, tauchte die Frage auf, wann die Schirmchen denn eigentlich den klappbaren Griff erhalten haben. Ich wollte gerne mehr zur Evolution des Sonnenschirms - besonders in den 1790er Jahren - erfahren und das am besten aus erster Hand!
1786, Journal der Moden, Jahrgang 1, Juni, Tafel 18 Weibliche Moden (Quelle: Uni ThULB Jena)

Bereits in der ersten Ausgabe von Bertuchs Journal des Luxus und der Moden (1786 im ersten Jahrgang noch unter dem Titel "Journal der Moden" erschienen), entdecken wir eine Dame mit einem Sonnenschirm, welcher aber noch keinerlei Ähnlichkeit mit meinem kleinen Sonnenschirmchen hat, im Gegenteil, sein Griff ist sehr lang und der Schirm dient gleichermaßen als Spazierstock.
In den kommenden Ausgaben finden wir immer wieder ähnliche Schirme und zwar in einer bunten Viefalt mit wunderschönen seidenen Schirmdächern.
Ein Name taucht in diesem Zusammenhang wiederholt auf: Franz Lorenz Rousset.

1786, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, Zweiter Band, Verlegt bei Friedrich Nicolai (Quelle: googlebooks)

Franz Lorenz Rousset war mit seiner Galanteriewarenhandlung ansässig in Berlin, an der Stechbahn.
Diese Straße lag seit Mitte des 18.Jahrhunderts direkt am Stadtschloss, also eine vornehme Adresse für Händler.
1788, Carl Traugott Fechhelm Schlossplatz mit Blick in die Königstraße (Quelle: Stadtmuseum Berlin)

In Carl Traugott Fechhelms Bild blicken wir direkt von der Stechbahn zum Schloss. Die Straße zwischen Schloss und Spree zierten Bögengänge und Arkaden und eine illustre Zahl an Händlern, wie der Text auf Spiker's Berlin  Die Stechbahn eindrücklich widerspiegelt.
ca.1830 An der Stechbahn, Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kartenabteilung. Inv. Nr. Kart. Y 44237 (Quelle: Spiker's Berlin)

Rousset reihte sich mit seiner Galanteriewarenhandlung zwischen Kunsthandlungen, Kaffeehäuser, Warenlager und Handwerker ein und besonders seine Schirme fanden immer wieder Eingang in die Journale. Ein besonderes Stück wurde im Jahr 1797 nicht nur im Journal des Luxus und der Moden gleich zweimal vorgestellt, sondern fand auch Erwähnung im Leipziger Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode: der Parasol a Feuillage.

1797, Journal des Luxus und der Moden, Mai, Tafel 14, Modenbericht aus Teutschland (Quelle: ThULB Jena)

Bereits im darauffolgenden Monat findet sich der besondere Sonnenschirm im Leipziger Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, wo ihm ein eigener Modekupfer gewidmet wird.
1797, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Juni, Tabula II (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

Beide Veröffentlichungen haben gemein, dass die Modekupfer jeweils nur mit sehr kurzen Beschreibungen versehen waren, weshalb das Journal des Luxus und der Moden im September nochmals einen Artikel nachgeliefert und veröffentlicht hat, der auf Ende Juli datiert ist.
1797, Journal des Luxus und der Moden, September, neue Modenartikel (Quelle: ThULB Jena)

Transkription:
[...]Sonnenschirme mit einem Laubdach. Es war ein glücklicher Gedanke, den Sonnenschirmen der Damen das Ansehn eines mit allerley Laubwerk dichtverflochtenen Laubdaches zu geben, welches durch ein besonders dazu in Laubwerk gewirktes oder gemahltes Stück grünen Tafft bewirkt wird, das man über die Stäbe des Schirms spannt. 
Vielleicht geht man nun bald noch einen Schritt weiter, und giebt dem Schirme gerade zu die Gestalt einer Fächerpalme (Borassus flabellifer, Linn.). Wenigstens wäre dieses Raffinement unserm in solchen Erfindungen sehr sinnreichen Parasolfabrikanten, Hr. F.L.Roußet wohl zuzutrauen, der auch diese Laubsonnenschirme hier zuerst in Umlauf  gebracht hat. Man bekommt sie unter der Modebenennung parasols a feuillage in seiner Fabrik allhier von 4 bis 7 Thaler das Stück[...]

Ob der Bericht mit seinem scherzhaften Vergleich einer Fächerpalme bei Rousset bekannt war und eine Initialzündung ausgelöst hat, bleibt spekulativ - Tatsache hingegen ist, dass Franz Lorenz Rousset im Jahr 1798 erstmals einen Schirm vorlegt, der den großen Sonnenschirmen der frühen 1790er Jahre nicht mehr ähnelt, sondern eher jenen Schirmchen der kommenden Dekaden.
1798, Journal des Luxus und der Moden, April, Kupfertafel 10 (Quelle: ThULB Jena)

1798, Journal des Luxus und der Moden, April, Beschreibung der Kupfertafel (Quelle: ThULB Jena)

Transkription:
[...]In der Hand hat sie einen sehr geschmackvollen Fächer-Sonnenschirm (Parasol a l'eventail) von neuestem Geschmacke aus Hrn. Roussets Fabrik allhier. Er ist von gedrucktem Taft mit grünen Feuillage und einem Rosenkranze von recht schöner Zeichnung dekoriert[...]

Nur einen Monat später greift auch das Leipziger Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode ein solches Fächer-Schirm Modell auf, jedoch findet im Text kein Hersteller Erwähnung.
1798, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Mai (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

 Transkription:
Auzug
[...]Wenn sie der Hut nicht in allen Richtungen vor den Sonnenstrahlen schützt, so sichern sie sich gegen diesselben durch den grünen Taffetschirm[...] 

1798, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Mai, Kupfertafel (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

1798, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Mai, Kupfertafel (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

Der vergrößerter Ausschnitt zeigt die Funktion des Fächer-Schirms. Der Knick nahe am Gestänge, den auch spätere Schirme noch aufweisen, ist bereist vorhanden, allein der Griff selbst lässt sich nicht zusammenklappen.
Und was geschah mit Franz Lorenz Rousset?

1798, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, November (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

Transkription:
[...]Im Oktober zeigte F.L.Rousset in Berlin an, daß er gesonnen sei, seine bisher geführte Handlung (außer der Parasol-Manufaktur, welche er beibehält) aufzugeben, und das Waarenlager, -bestehend in Bielefelder Leinwand, glatten, gestreiften und gestickten Mousselines, glatten und geblümten Klaar, Linons, Batist, Kanten und Zwirnblonden, weißen und schwarzen seidenen Blonden, Piques, Nankins, Westen, Halstüchern, Shawls, schwarzen Glanztaffet, Filet, Kammertuch, gestickten Manschetten, Baumwollen-Garn zum Stricken und Sticken, Bändern, Fächern, silbernen und plattierten Schnallen, Uhrketten, Uhrschlüsseln und Petschaften, Dosen, Ringen, Brieftaschen, plattierten Messern und Gabeln, Spornen, Argent-haché-Waren u.s.w. - zum Einkaufpreise und auch darunter zu veräußern[...]

1799, Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Februar (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg)

Transkription:
[...]Durch zwei Cirkular Briefe vom 1. und 12.Januar erfuhren wir, daß die Witwe Bardin in Berlin ihren Anteil an der von ihrem verstorbenen Manne vor 25 Jahren errichteten, seit 5 Jahren mit F.P.Rousset gemeinschaftlich geführten und unter der Firma: Gebrüder Bardin, bekannten Seiden-Strumpf-Manufaktur, an den Bruder gedachten Asscie's F.L.Rousset, überlassen, und beide Brüder die Berichtigung aller Activorum und Passivorum gemeinschaftlich übernommen haben. Zum bessern Betrieb der Seiden-Strumpf-und Parasol-Manufaktur hat F.L.Rousset seine bisher geführte Modenhandlung aufgegeben, wird aber allein alle aus letzterer vorhandenen Activa und Passiva liquidiren[...]

War es möglich, dass die Geschäfte Rousset unerwartet derart in Anspruch nahmen, dass seine Parasolmanufaktur eine zeitlang ruhte?
Im November 1798, der Monat, in dem Rousset seine Berliner Modehandlung auflöst, erscheint ein weiterer interessanter Modekupfer im Journal des Luxus und der Moden, dessen Hersteller im Journal keinerlei Erwähnung findet:
1798, Journal des Luxus und der Moden, November, Tafel 33 (Quelle: ThULB Jena)

Auszug 1798, Journal des Luxus und der Moden, November, Tafel 33 (Quelle: ThULB Jena)

Ein sehr kleines Schirmchen. Verdeckt der Ring möglicherweise ein Gelenk? Wahrscheinlich ist der Messingring wohl eher ein Schmuckelement, denn diese Novität hätte gewiss Erwähnung gefunden!
Auch Franz Lorenz Rousset blieb gemeinsam mit seinem Bruder den Parasols und Fächern treu, im Jahre 1805 tritt er auch erstmals wieder im Journal des Luxus und der Moden in Erscheinung und stellt neue Fächer-Schirme vor...von einem Gelenk zum Zusammenklappen der Schirme ist aber keine Rede.

Auch wenn mein Parasol für die Frühromantik wohl ein bisschen anachronistisch ist, freue ich mich, dass er ein drittes Leben eingehaucht bekommen hat und bei den sonnigen westfälischen Sommern wird er mir wohl noch immer gute Dienste leisten können!

12 Kommentare:

  1. Bei den heissen Sommern werden wir unsere Parasöller gut gebrauchen können. Spannend find ich auch die "Laubdächer" - ich halte mal die Augen offen, ob ich in den Pariser Journalen auch etwas entsprechendes finde, oder ob es sich hier eher um eine frühromantische Blumistenmode handelte :-)

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    1. Stimmt, die kleinen Schirmchen könnten bei unseren Sommern glatt wieder in Mode kommen!
      Oh ja, Dankeschön - es wäre spannend zu erfahren, ob die Parasol a Feuillage noch anderswo in Europa aufegtaucht sind. Die Parasolmanufaktur muß für Rousset eine echte Herzensangelegenheit gewesen sein, denn er wird immer wieder erwähnt und einige Exemplare sind wirklich wunderschön, gerade auch der "Laubschirm", ob sich davon noch welche erhalten haben? Das wäre ein echter Glücksfall!!!

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  2. Charming! I loved the adventure of the parasol as it stretches out in the spring weather. :) I was very intrigued by the fan palm style--thank you for the further research that helped explain it. I have to say that in addition to green taffeta, I am envisioning a parasol actually covered in palm foliage. :)

    Best,
    Quinn

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    1. Thank you very much, Quinn!
      Actually I stumbled over the Modenbericht of the parasol de feuillage first and was really excited when I've found the matching fashion plate a few issues earlier - what a treat! And then I was leafing through the other journal and even got a close-up of the parasol!!! There are plenty of really exciting parasol modells throughout the 1790s described and studying them I wished to see an original one to pop up in a museum's collection! Maybe one day, we just need to keep our eyes open :)

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  3. Liebe Sabine,
    vielen Dank für deine Ausführungen und Glückwunsch zu dem wunderschön überarbeiteten Schirmchen. Tatsächlich kann ich auch ein kleines Knick-Schirmchen mein Eigen nennen. Es ist sogar noch in gutem Zustand, aber ich traue mich nicht, es wirklich aufzuspannen aus Sorge, die Seide könnte doch noch reißen.
    Liebe Grüße
    Amalia

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    1. Es freut mich sehr, dass Dir der Artikel gefällt :) Das Schirmchen konnte ich sogar hier und da schon nutzen, bei dem derzeitgen Sonnenschein! Bei meinem Parasol waren leider nur noch Seidenfetzen an den Stangen, da fiel die Wahl leicht - das mit der Nutzung eines Schirms mit Originalbespannung kann ich verstehen, Seide kann ja sehr heikel sein, vor allem wenn sie gealtert ist...hast Du das Schirmchen auf eurem Blog schon vorgestellt?

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    2. Nein, momentan fehlt mir leider die Zeit zu ausführlicheren Beiträgen und vor allem für die Recherche. Ich habe da auch schon einiges im Hinterkopf und komme nicht dazu. Wir haben auf unserem Blog durchaus noch Potential für mehr Artikel mit Tiefgang. Und eigentlich sind diese genau Minas Fall. Sie kann sich so richtig in ein Thema reinbeißen - aber auch ihr fehlt die Zeit. Immerhin haben wir dank unserem fleißigen Schneiderlein aber viele Werke zu zeigen und diese zu betrachten ist ja auch schön und kann zu eingenen Projekten inspirieren :-)

      Deshalb bewundere ich Deine Artikel übrigens immer sehr - ich weiß, wieviel Arbeit und Zeit sich dahinter verbergen.

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    3. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben, irgendwann werdet ihr Zeit und Muße finden eure Ideen auf den Blog zu bringen...ich hatte auch eine längere Auszeit, die sehr hilfreich war. Alles hat seine Zeit!

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  4. Ich liebe solche Acessoires. Sie gehören genauso zur Dame wie ein schöner Spazierstock zum Herrn von Welt. Dein Stil ist natürlich auch wieder superbe.

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  5. Liebe Sabine, mit großem Vergnügen habe ich mich beim Lesen nicht nur in Frühlingslaune sondern auch in vergangene Zeiten versetzen lassen. Diese Schirmchen habe ich schon oft abgeschlachtet,sind sie doch höchst zierliche Begleiter der eleganten Damenwelt.Allerdings hat mich am meisten die Vorstellung eines Schlußverkaufes Anno 1798 in Aufregung versetzt.Ob das Schnäppchenfieber wohl die eine oder andere Dame zu einem eher unbescheidenem Umgang mit ihrem Nadelgeld verleitet hat?

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    1. Oh ja, da sagst Du was, das muß ein herrliches Spektakel gewesen sein beim Ausverkauf, wieviele Schachteln da wohl glücklich aus dem Laden getragen worden sind, um dann nebenan im Kaffeehaus gleich den Freundinnen präsentiert worden zu sein. Ich bin immer ein bisschen elektrisiert, wenn man solche Geschichten hinter der Kleidung entdeckt - freut mich sehr, dass es Dir ähnlich geht!

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