Seit ein paar Tagen hält herbstlich regnerisches Wetter das schöne Westphalen fest in den kalten Händen: die Jahreszeit ist da, die auch vor über zweihundert Jahren nicht eben für Begeisterungsstürme sorgte.
Die Kamine brannten, warme Kleidung wurde aus den Truhen und Kästen geholt und - sodenn man es sich leisten konnte - blieb man in der Stube...die Frauenzimmer vornehmlich auch wegen der kalten Füße!
Ja, die kunterbunten feinen Frauenzimmer Modeschuhe, die ich in meinen letzten Beiträgen vorgestellt habe, luden nicht gerade zum Spazierengehen ein, wenn sie auf regennassen Straßen zu ruinieren drohten.
Wie kam man dennoch dazu ein wenig erquickliche Herbstluft zu schnuppern und die winterlich gestimmten faulen Glieder zu strecken?
Mir fiel ein, dass ich vor vielen Jahren (neun, um es genau zu schreiben) einen Beitrag über Trippen verfasst habe, aber taugen die für die feinen Modeschuhe?
Nein, natürlich nicht - daran lässt das Werk "Englische Miscellen" im vierzehnten Band von 1804 in einer Fußnote über Pattens keinerlei Zweifel:
1804, Englische Miscellen, Vierzehnter Band, Johann Christian Hüttner bei Cotta, Tübingen (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...]Die bekannten pattens kommen niemals an den Fuß einer Dame oder wohlhabenden Frau, sondern sind in der Regel blos auf die Frauen des Mittelstandes und besonders des niedrigen Volks eingeschränkt. Sodann trägt man ja die Pattens blos in schlechtem nassen Wetter unter den Schuhen.[...]
Aber Hüttners Text gibt noch weitere Einblicke in die gängige Schuhmode in London, wenn er schreibt:
1804, Englische Miscellen, Vierzehnter Band, Johann Christian Hüttner bei Cotta, Tübingen (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...]Aber die Damen sieht man trotz der bequemen Seitenwege in der Hauptstadt selten zu Fuße, oder wenn es je etwa in der Bondstreet, oder anderswo geschieht, so verpanzern sie meistens den Fuß, der an die wolllüstigen Teppiche der englischen Häuser gewöhnt ist, mit allerlei Arten von Ueberschuhen und Galoschen, so wie die Frauen der mittleren und niederen Stände, aus Furcht vor nassen Füßen die bekannten Pattens tragen. Die Galoschen sind daher eben so sehr der Änderung und Mode unterworfen, als die Schuhe selbst. Diesen Winter findet man in Bondstreet Galoschen, die inwendig mit feinem Pelzwerk gefüttert sind, und die Stelle der Pelzschuhe vertreten können, welche ein junges Frauenzimmer natürlich nicht gern trägt. Die Galoschen gehn stark und werden nach Beschaffenheit des Pelzwerks höher oder niedriger verkauft[...]
Die Galoschen, Galloschen, Golloschen oder Ueberschuhe gingen also mit der Mode und für die 1790er finden sich in einigen Museumssammlungen wunderschöne Exemplare.
ca.1797 Pair of Overshoes, England, Accession Number: 608A&C-1884 (Quelle: Victoria & Albert Museum, London) |
1785-1795 Pair of Woman's Overshoes, England (Quelle: LACMA) |
Ein weiteres Paar mit vielen Detailbildern befindet sich in der Sammlung Antique Gown (Raimar Kremer), es ist ebenfalls englischen Ursprungs und wird auf das Jahr 1792 datiert.
Einige Überschuhe gleichen vom Entwurf tatsächlichen den eigentlichen Modeschuhen und wurden stets zusammen getragen, wenn es darum ging die feinen Schuhe auf regennasser Straße zu schützen und die Dame trockenen Fußes von ihrem Haus zu einer Geselligkeit zu begleiten.
Jene Galloschen, wie das schlichte schwarze Paar aus der Sammlung des LACMA, waren für verschiedene Paar Schuhe zu verwenden.
Und genau solch ein universeller Entwurf schwebte mir für meine Überschuhe vor.
Gemein scheint diesen englischen Paaren der Lederring, der um den Absatz gelegt wurde, und das Futter aus feinem weißen Lammleder.
Ich ging an die Planung und Materialbeschaffung und beschäftigte mich zunächst mit den lederbezogenen Ringen. Das Victoria & Albert Museum und die Seite Antique Gown geben detailliert Auskunft darüber, dass es sich bei diesen Ringen um lederummantelte Drahtspiralen handelte.
Diese hatte ich bereits vor Jahren in meinem 1801 Corsetlet Corset Soie (Corset Elastique) verwendet und ich war voller Zuversicht noch einen Vorrat davon zu haben...diese Hoffnung zerschlug sich schnell und in der Not der Stunde wich ich kurzerhand auf ein breites Haargummi aus.
Die Fertigung erklärt sich folgendermaßen:
Zunächst wird ein schmaler Lederstreifen in der Länge zugeschnitten, die von der Kante der Sohle um den Absatz bis zur Kante zurück reicht. Dieses Lederstück ist selbstverständlich länger als der Spiraldraht (oder in diesem Fall die Länge des Haargummis).
Um den Kern zu ummanteln wird der Lederstreifen zu einem Ring vernäht und auf einen runden Gegenstand mit entsprechendem Umfang gezogen, sodass die Innenseite aufliegt. Das kann ein Rohr, ein Glas oder wie in meinem Fall ein Gebäckausstecher sein.
Der elastische Kern (Spirale) wird aufgelegt und mit dem Leder eingerollt, anschließend vernäht.
Und heraus kommen die gewünschten Absatzhalter:
Diese werden mit einem Lederstück verklebt und später zwischen Innensohle und Laufsohle verankert.
Das Oberleder ist 2nd Hand und entstammt einer abegetragenen Jacke. Es wurde mit schwarzer Lederfarbe behandelt. Das Futter ist aus einem Restbestand zerschlissener und gerissener Lederhandschuhe.
Geformt wurden die Galloschen über einen Leisten, über welchen bereits ein Schuh gezogen ist. Auf diese Weise ist der Überschuh groß genug, um auf den eigentlichen Schuh zu passen.
Und so sieht ein Überschuh bei seiner ihm zugedachten Arbeit aus:
Während ich mich von der Arbeit in der Werkstatt erholte, freute ich mich am Anblick der fertigen Galloschen und las noch in verschiedenen Werken über diese Schuhmode...
...und landete unweigerlich einmal mehr in Weimar, im Journal des Luxus und der Moden.
Oder genauer gesagt im April 1795 in dem Beitrag über Galloschen und Überschuhe.
1795, April, Journal des Luxus und der Moden, Ueber den Gebrauch der Galloschen und Ueberschuhe (Quelle: ThULB Jena) |
Transkription:
[..]Etwas schwieriger sind die Galloschen für Frauenzimmer (Taf.15) wegen des weiten Ausschnitts und der unglücklich hohen Absätze ihrer Schuhe. Die Gebrechlichkeit eines Damenschuhs, der höchstselten von Leder, fast immer von seidenem und anderm Zeuge ist, die sonderbare und unnatürliche Form desselben, und hauptsächlich die Abneigung der Damen etwas Solides an den Füßen zu haben, macht tausend Schwierigkeiten ein Frauenzimmer bey üblem Wetter auf die Beine, oder ihr Galloschen an die Füße zu bringen.
Ich kenne indessen doch eine meiner Freundinnen, die sehr viel auf Bewegung und Gehen, sonderlich des Winters, hält, beynahe täglich, zu großem Nutzen ihrer Gesundheit, spazieren geht, wenn es nur nicht gar zu übles Wetter ist, und dies durch eine sehr gute Verbesserung der weiblichen Galloschen, die sie selbst erfunden hat, bewürkt. Taf.15, Fig.5 zeigt die Form davon. Da der Damenschuh hohe hölzerne Absätze hat, folglich nicht die Ferse, sondern nur die Sohle des Fußes in den Koth treten und naß werden kann, so hat die Gallosche f g e d auch keinen Absatz, sondern nur eine Sohle und ein Oberleder, und Etwas, das diese an den Schuh befestigt, nöthig. Diese Gallosche ist also von schwarzem Kalbleder, mit einer ziemlich starken Sohle, die nur bis g geht, und ist innerhalb, so wie die Riemen, mit weißer Leinwand gefüttert. Von g läuft über das Quartier und die Ferse hinweg, bis auf die andere Seite des Fußes, ein Riemen, der genau abgemessen seyn, und in d eine Spitze haben muß, daß man ihn über die Ferse herauf ziehen kann. Ueber das Fußblatt läuft sodann das schmale Riemchen e g, womit, wenn die Gallosche angezogen ist, dieselbe fest geschnallt wird; wodurch sie gut und sicher sitzt. Ich bekenne freylich, daß diese Galloschen ein wenig mühsamer sind, als die männlichen; allein ist dies nicht überhaupt der Karakter der weiblichen Kleidung? Und sollte dies wohl nicht von dem großen Nutzen, den sie er schönen Welt leistet, weit überwogen werden?
Ich wünsche sehr, daß man die Materie der Galloschen ernstlich beherzige. J.F.B.[...]
Wie kann man Friedich Justin Bertuch, der den Ursprung der Überschuhe übrigens - wie im weiteren Text erwähnt - nach Paris verortet, diesen Wunsch abschlagen? Erst recht, wenn er der geneigten Leserin des Journals noch eine Modetafel an die Hand gibt.
1795, April, Journal des Luxus und der Moden, Kupfertafel 15 (Quelle: ThULB Jena) |
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist nicht nur der Einblick in weibliche Gepflogenheiten des höheren Bürgertums, welchen Bertuch gibt, sondern auch die Tatsache, dass der abgebildete Schuh eher den Modellen entspricht, wie sie Ende der 1780er getragen wurden. Dieser Hinweis zeigt, dass neue Moden nicht grundsätzlich frühere Moden gänzlich verdrängten, sondern sie durchaus nebeneinander her existierten.
Ich orientierte mich bei meiner Nacharbeitung eher an meinen Frauenzimmer Flitterschuhen von 1794.
Wie auch die englischen Überschuhe fertigte ich sie auf dem Leisten über dem eigentlichen Modeschuh, um eine gute Passfrom zu erzielen.
Leider war ich vom Prozess am Werktisch derart eingenommen, dass ich in diesem Fall nicht mit Fertigungsbildern dienen kann, allerdings ist die Vorgehensweise durch Bertuch gut beschrieben und grundsätzlich einleuchtend.
Die Front ist eher abgerundet, wie auf der Kupfertafel Bertuchs und entsprechend meiner Frauenzimmer Flitterschuhe von 1794. Das Schuhblatt ist im Gegensatz zu den englischen Schuhen nicht mit Leder, sondern mit Leinen gefüttert.
Die Riemen habe ich entgegen Bertuchs Beschreibung nicht mit Leinen, sondern mit weichem Handschuhleder hinterlegt. Die kleine Schnalle mißt etwa 11 x 18 Millimeter. Die Riemchen sind 12 Millimeter breit.
Ein direkter Vergleich des englischen Überschuhs mit der Weimarer Gallosche.
Die von Bertuch erwähnte "starke Sohle" entspricht im Fall der Nacharbeitung einer Stärke von 3,5 Millimetern.
Der Überschuh ist umständlicher anzulegen als jene aus englischer Produktion und sie verdecken selbstverständlich auch mehr vom eigentlichen Modeschuh.
Aber einen gewissen Chic kann man ihnen nicht absprechen! Besonders die kleine Schnalle erweist sich als Hingucker.
Und sie erfüllen bestens ihren Zweck, eine Dame mit dem Versprechen eines trockenen Fußes vor die Tür zu locken.
...denn vor der Tür lauert dieser Tage nasskaltes Herbstwetter und die dunkle Jahreszeit, also schützt eure Schuhe!