Donnerstag, 13. Juli 2023

Eleganter Morgen-Huth

 Im Juli 1794 empfiehlt das Weimarer Journal des Luxus und der Moden seinen Leserinnen einen eleganten Morgen-Huth. Und wer könnte sich dieser Empfehlung mit dem verlockenden Versprechen von Eleganz entziehen? Nach eben jener Eigenschaft strebte wohl ein jedes bürgerliches Frauenzimmer, allein der Geldbeutel bestimmte oftmals die Ausführung.
 
Vorgestellt wurde der schöne und recht französisch anmutende Aufsatz in Wort und Bild:
1794, Juli, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 9, Kupfertafel 19 (Quelle: thulb Jena)

1794, Juli, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 9, Modenneuigkeiten, Seite 351 (Quelle:thulb Jena)


 Transkription:
[...]Ihre jüngere Schwester (Fig.2) will früh, im Morgen-Negligee, zu einer Freundin gehen. Die Haare sind noch gewickelt. Eine tiefe Morgenhaube wird aufgesetzt, und darauf ein eleganter Morgen-Huth. Dieser besteht aus einer bloßen feinen gelben Strohhut-Krämpe, ohne Kopf. Der Sack von weißen Flor, welcher den Kopf macht, liegt vorn auf der Stirn, wo sich die Krämpe ein wenig aufschlägt, etwa drei Finger breit, in kleinen Falten mit schmalen Spitzen besetzt. Um den Kopf ist zweymal grünes Band gebunden, welches ein Paar Schleifen macht, und davon die Enden unter dem Kinne leicht zusammengebunden sind. Der Leib wird in ein großes schwarzes seidnes Schaal mit buntgestickter Bordüre gewickelt, und so ist der Morgenanzug fertig.[...]
 
In dem kurzen Text erhalten wir einen wunderbaren Einblick in die Gepflogenheiten der Damen. Das noch nicht frisierte Haar wurde für den morgendlichen Besuch außer Haus kurzerhand unter einer Haube und einem Hut versteckt.
Es ist anzunehmen, dass es sich einige Leserinnen erlauben konnten, das praktische Morgenhütgen gleich in einer Handlung für Galanteriewaren zu erwerben oder bei der Modisten neu in Auftrag zu geben, aber möglicherweise haderte so manche von ihnen auch mit den Ausgaben für einen neuen - wie im Journaltext erwähnten - Strohhut aus teutscher Verfertigung. 
Vielleicht lag in der Truhe noch ein alter Strohhut, der in die Jahre gekommen war? 
1787, Oktober, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang2, Modetafel 27 (Quelle:thulb Jena)

Ein Basthut mit gestochener Krempe aus den späten 1780er Jahren vielleicht? Längst waren die Bögen ausgefranst und die Krempe hatte hier und da einige Löcher bekommen...und modisch war der große Strohhut 1794 längst nicht mehr.
Vielleicht konnte die Modistin den Aufsatz umarbeiten und sogar das Gaze d'Italie, auch wälsches Dünntuch genannt (Quelle: Journal des Luxus und der Moden Oktober 1787, Modenneuigkeiten, Seite 350) wieder verwenden. Eine ökonomische Herangehensweise, welche so manche Hausfrau beherzigte.
Bezogene Seide wird unter anderem in Gottfried Christian Bohns Waarenlager von 1788 erwähnt:
1788, Gottfried Christian Bohns Waarenlager, Dritter Teil, Hamburg, 867 Strohhut (Quelle: googlebooks)

Transkription:
[...]Strohhut, eine Bedeckung des Hauptes von unterschiedlicher Gestalt, welche theils von den Mattenmachern, theils von dem Landvolke an verschiedenen Orten aus dem Strohe verfertigt wird, und wider die Sonne und den Regen dienet. Es gibt darunter einige, die so fein und sauber gearbeitet sind, daß auch das vornehmste Frauenzimmer solche des Sommers bey dem Spazierengehen aufzusetzen pflegt. Die schönsten und feinsten von denselben kommen aus Italien, und vornehmlich Florenz, welche man denn bei den Galanteriehändlern antrifft. Sie bleiben entweder so bloß, wie sie geflochten werden, oder werden auch mit Taffente und anderem seidenen Zeuge gefüttert und überzogen, auch mit allerhand Bändern, Schleifen, Blumensträußern, Federbüschen u.s.w. geschmücket.[...]

Unsere wirtschaftliche Dame des Hauses wählt also ihren alten Strohhut mitsamt dem Flortuch (Dünntuch), ein paar Seidenreste von einem Kleid und weist ihre geschickte Modistin an, ihr daraus ein Morgen-Hütgen zu verfertigen. Lediglich das Seidenband erwirbt sie neu.

1794, Juli, Journal des Luxus und der Moden, Jahrgang 9, Kupfertafel 19 (Quelle: thulb Jena)

Leider stand mir für die Nacharbeitung weder ein neuer, noch ein ausgedienter Strohhut zur Verfügung, hier mußte ich selbst eine ökonomische Herangehensweise an den Tag legen.
Ich fertigte die "Strohkrempe"  aus Stramin, von welchem ich noch reichlich Vorrat im Lager hatte.


Das Patron für die Krempe. Das eingesetzte Stück ist ein wenig breiter als der eigentliche Kreis, dies bewirkt, dass sich die Krempe natürlich aufstellt...
 

...und selbstständig die gewünschte Form annimmt.
 
Entlang des Randes und zur fehlenden Krone hin wurde Draht eingenäht, um später die Form zu halten.

 In meiner Nacharbeitung verzichtete ich auf die Spitze vorn und wählte stattdessen entlang des Sacks aus Flor noch eine Falbel aus gleichem Material.


Natürlich kommt kein Huth ohne Schachtel. Diese habe ich aus Holzpappe gefertigt und mit gedrucktem Buntpapier bezogen.


Der mit Seidentaft bezogene Strohhut mitsamt Florsack und Seidenbändern.

Bei dem Sack aus Gaze d'Italie, Flor oder Dünntuch handelt es sich um ein Stück kreisförmig ausgeschnittenen Stoffes, der entlang des Randes gerafft und in Form gebracht wird. Der Stoff ist hauchzart, durchsichtig, hat aber genügend Stand.


Der Morgen-Huth sitzt weit in die Stirn gezogen, so dass der Florsack besonders schön in die Höhe steigt. Diese Form des aufragenden, jedoch nicht allzu großen Aufsatzes, ist kennzeichnend für die erste Hälfte der 1790er Jahre, besonders ab 1792/93 als die sehr großen Hutmodelle der späten 1780er aus den Journalen verschwanden.



Die Rückseite ziert eine Schleife. 





Der Florsack kann durch wenige Handgriffe auch in eine noch höhere spitze Form gebracht werden, wie man es in französischen Modekupfern häufig sieht, aber diese leicht runde Form gefällt mir am besten.
Diesen Aufsatz wählte ich zur Nacharbeitung, da es sich um ein Stück handelt, das unserem heutigen Modegeschmack völlig widerspricht.
Selbst in den 1790er Jahren verebbte die Freude an dieser sehr französischen Form rasch wieder und ist bereits ab 1795 kaum noch präsent.
Das bedeutet im Umkehrschluß wohl, dass unsere Hausfrau schon wenige Monate später erneut bei ihrer Modistin vorstellig wurde...und für mich: es gibt noch viele spannende "Huth-Geschichten" zu erzählen!

6 Kommentare:

  1. Dear Sabine,
    My goodness, you made this hat work admirably! As a drawing it looks almost implausible, but while somewhat fantastical, it still can be made.
    I wouldn't be surprised if it might crush easily, making it difficult to keep fresh without nearly continual freshening and renovation.

    The photos that show how an inserted brim slice can force a brim to curve is brilliant!

    Very best this summertime,
    Natalie in KY, USA

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    1. Dear Natalie, it's wonderful to hear from you, thank you for the compliment! This hat really is early 1790s, they seem to love the small hats with gaze d'Italie, it's so light and airy. I keep the hat in the hat box, but the top is amazingly sturdy and not easy to crush - it just pops back in shape. I am still pondering to replace the bright yellow with a softer colour, because my latest dresses are more of a muted colour scheme...but for now I just enjoy the bright sillyness ;-)

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  2. Yay! Thanks for sharing this brief fashion with us. Your hat is lovely, of course. The yellow is bright and cheery! And so wonderful to have a hat box to store it in so that the crown does not get crushed.

    Best,
    Quinn

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    1. Thank you for your lovely comment, Quinn. I do enjoy working with pasteboard and paper, so many new options.

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  3. Ich liebe es wie Du so schöne Hüte kreieren kannst. Eine Borte auf einen Hut nähen ist für mich schon allermeist. Ich hasse es immer durch den dicken Filz zu stechen.

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    1. Vielen Dank! Glücklicherweise ist das Material für diesen Aufsatz federleicht für die Nähnadel! Das Modell ist allerdings wirklich recht auffällig (vielleicht durch das strahlende Gelb), ich denke, es passte besser nach Paris denn nach Weimar.

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