Die Zeile des Titels zu diesem Blogbeitrag stammt aus der Feder von Caroline Schelling (1763-1809).
Sie schrieb die Zeile über ihre Tochter Auguste Böhmer (1785-1800) am 07.September 1797 an ihre Freundin Luise Gotter (1760-1826) in einem Nachtrag, den ich meiner Leserschaft nicht vorenthalten möchte:
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Caroline, Briefe aus der Frühromantik Band I, Seite 425, Insel Verlag Leipzig, 1913 (Quelle: SLUB Dresden, Digitale Sammlung) |
Transkript:
[...]Auguste hat sich doch in aller Stille ein Herz gefaßt und schickt Cecilen ich weiß nicht was alles für Herrlichkeiten. Sey doch so gut das Stammbuch wieder mitzugeben. Wenn ich nicht irre, so hatte Gotter noch ein paar Zeilen für sie aufgeschrieben, die ihr ein Heiligthum seyn werden.[...]
Ein kleiner Nachtrag nur, den man vielleicht überliest, aber er hat mich dankbarerweise nach viel zu langer Abwesenheit (habe ich meinen letzten Beitrag tatsächlich vor beinah zwölf Monaten veröffentlicht!?) wieder vom Lesefauteuil zurück an den Schreibtisch gebracht.
Meine Herangehensweise im Bezug auf Mode war schon früh, dass ich den Alltag begreifen möchte, um die Kleidung zu verstehen und ich muß gestehen, dass die faszinierende Alltagswelt um 1800 mich in den letzten Jahren mitunter mehr gefesselt hat, als das Schwingen der Nähnadel.
Im Herbst 2019, während ich das Westphälische Amalienzimmer fertigstellte, erwarb ich aus Neugierde mit dem Album der C. Sophie Freyer mein erstes Stammbuch und diese Blattsammlung an handschriftlichen Freundschaftsbekundungen schlug mich sofort in den Bann und in den letzten Jahren wurde daraus eine kleine Sammlung, ausschließlich aus der Hand von bürgerlichen Stammbuchhalterinnen.
C.Sophie Freyer war nicht einmal zehn Jahre alt, als sie ihr erstes Album begann, und auch Auguste Böhmer war wahrscheinlich erst wenige Jahre über ihre erste Lebensdekade hinaus, als sie ihr Album führte.
Was für ein Schatz muss es gewesen sein, welch Geistesgrößen mögen sich dort verewigt haben, aber waren es auch eben diese Einträge, die ihr Heiligthum waren oder vielmehr, die ihrer Freundinnen?
Kann man den Wert dieser Alben - selbst den einfacher gestalteten, wie es uns im Folgenden vorliegt- nachspüren?
Bevor ich das Stammbuch der M.M.Heydenreich vorstelle, zur Einstimmung ein kleiner virtueller/visueller Ausflug in die Familien des ausgehenden 18.Jahrhunderts und frühen 19.Jahrhunderts
(Und, ja! da kommt auch die Mode ein bisschen ins Spiel).
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1804, Johann Friedrich Dryander, Bildnis der Familie Krämer, St.Ingbert (Quelle: wikipedia) |
Vielleicht haben auch die Töchter der Familie Krämer ein eigenes Stammbuch besessen, in welches sich ihre Familie, Verwandschaft, Freundinnen, aber vielleicht auch angesehene Bürger der Stadt eingetragen haben.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bei Stammbüchern aus männlicher Hand zumeist erst im Studentenalter mit der Bitte um schriftliche Freundschaftsbekundungen gebeten wurde, oder Geschäftsleute und Künstler die Alben in ihrem Wirkungskreis herumgehen ließen.
Bei den Frauen begann die Liebe zur freundschaftlichen Widmung bereits oft schon im Kindesalter, vielleicht auch ein Grund, warum die "Studentenalben" oft eher im Fokus der Publikationen stehen.
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1800, Rienk Jelgerhuis, Portret van de kinderen van Jasper Ganderheyden (Quelle: RKD images) |
In dem Bild sehen wir die Schwestern Helena Johanna, Hillegonda Rachel und Johanna Hermina beim Musizieren mit ihren Brüdern, aber wir können sie uns auch über Bücher gebeugt vorstellen...oder wie sie gemeinsam ihre Stammbücher durchschauen und sich die Einträge gegenseitig vorlesen.
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1791, Jaques Sablet, Portrait de famille avec la Basilique de Maxence (Quelle: Musée Cantonal des Beaux-Arts Lausanne) |
In dem Gemälde sehen wir den Comte Jean de Sellon mit seinen drei Töchtern Jeanne Victoire, Adelaide Suzanne und Henriette. Eine der Dreien hält ein Skizzenbüchlein und man kann sich lebhaft vorstellen, dass es eben solche jungen Damen waren, welche die Stammbücher mit geschickt gefertigten Kunstwerken neben den Einträgen, seien sie gemalt, gestickt und ausgeschnitten, zu besonderer Güte erhoben haben.
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Juni 1803, Pierre Noel Violet, The artists daughter Maria Brook Pulham, Lot 49 21.November 2012 (Quelle: Bonhams) |
Vielleicht hat sich mit dieser Einstimmung ein lebendiges Bild über die folgende Albumhalterin entwickelt, wie sie das Album geschenkt bekam, wie sie es für Einträge weiterreichte, wie sie es bei Erhalt aus Freundeshand zurück neugierig öffnete, die kleinen Pappkärtchen herausgleiten ließ und sich über die neueste Karte beugte.
Auch wenn das Album der M.M. Heydenreich ohne jegliche kunstfertige Zufügung auskommt und ledigliche die Handschriften und Zeilen selbst für sich sprechen (wobei man sich bei losen Karten nie sicher sein kann, was in all den Jahren abhanden gekommen ist),
ist es doch ein kurzer Blick in das Leben einer jungen bürgerlichen Frau um 1800.
Das Album (Kassette) mißt H 8,9 x B 6 Zentimeter.
Die Karten aus feiner Pappe messen nur H 8,4 x B 5,6 Zentimeter, die Kanten sind rot eingefärbt.
Die Verzierung der Pappe ist nicht etwas aufgemalt, sondern das blaue Papier wurde ausgeschnitten und aufgeleimt. Die Initialen wurden im gleichen Verfahren angebracht.
Im Folgenden findet sich die
Digitalisierung des Stammbuchs der M.M.Heydenreich, Ansbach, welches von
1785 bis 1794 geführt wurde. Zur
Vergrößerung bitte die Seiten anwählen.
Weitere Stammbücher finden sich unter dem Menü Album Amicorum Bibliographie, außerdem hat das Stammbuch einen Eintrag/Link im Repertorium Alborum Amicorum RAA.
Die Pappe des Schubers ist mit gelb gefärbtem Papier ausgekleidet
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Blatt 1 (Vorderseite) |
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Blatt 1 (Rückseite) |
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Blatt 2 |
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Blatt 3 |
Magdalena Barbara Kammerecker (1773 - 1837), Tochter des Johann Caspar Kammerecker und der Anna Maria Magdalena Heydenreich, ist die Cousine der Albumhalterin.
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Blatt 4 |
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Blatt 5 |
Johann Jacob Kammerecker (1771 - 1834), Sohn des Johann Caspar Kammerecker und der Anna Maria Magdalena Heydenreich, ist der Cousin der Albumhalterin. Bemerkenswert ist, dass er bei seiner Heirat 1816 Westfale wurde, er siedelte von Heilsbronn in meine Nachbarstadt Iserlohn über, wo er als selbstständiger Kaufmann und Konditor tätig war. (Quelle: GEDBAS)
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Blatt 6 |
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Blatt 7 |
Johann Alexander Heydenreich (1754 - 1814) war Pfarrer. Er war der Onkel der Albumhalterin. (Quelle: GEDBAS)
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Blatt 8 |
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Blatt 9 |
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Blatt 10 |
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Blatt 11 |
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Blatt 12 |
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Blatt 13 |
Hier handelt es sich um eine wortgewaltige Erinnerung des Vaters der Albumhalterin.
La crainte de Dieu est le commencement de la sagasse
Die Furcht vor Gott ist der Anfang der Weisheit.
Spricht so ein Pfarrer?
Leider ist die Chronik (Quelle: GEDBAS) hier sehr vage, denn obwohl Onkel und Tante der Albumhalterin zugeordnet werden können, bleibt der Eintrag des Vaters ohne Vornamen und bietet lediglich das Geburtsdatum 1745.
Allerdings führte mich meine Suche zu einem Almanach, der mir schließlich einen Namen bescherte:
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1796, Johann August Vocke, Geburts-und Todtenalmanach Ansbachischer Gelehrten, Schriftsteller und Künstler (Quelle: googlebooks) |
Auf diese Weise erhielt ich nicht nur das Sterbedatum, sondern auch den Namen: M.Johann Bernhard Heydenreich.
Es stellte sich heraus, dass er in Ansbach durchaus bekannt war und auch Schriften veröffentlicht hatte.
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1794, Joh.Gott. Müllerischen Buchhandlung, Allgemeine Literatur-Zeitung (Quelle: googlebooks) |
Transkription:
[...] Ansbach. Vor kurzem starb Hr. M.Joh.Bernh.Heydenreich, Pfarrer in Lehrberg bey Ansbach an einem Schlagfluß auf einem Spatzier-Ritt. Er hat seit dem Jahr 1773 bis 1788 in welchen er als Lehrer der 2ten und 3ten Classe am hiesigen Gymnasium gestanden hatte, verschiedene Programmen geschrieben, als, Von ener wichtigen Frage im Erziehungsgeschäft 1775. Vom Nutzen des öffentlichen Vortrags der Mathematik 1775. Von dem frühzeitig anzufangenden Unterricht der Jugend 1778. De gemmarum cognitione fibi comparanda 1780. Über die Erlernung der griechischen Sprache 1781. Lebenslauf des seel. Hofraths und Professors Christ 1787. Von Schulgesetzen 1788. [...]
Blatt 14
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Blatt 15 |
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Blatt 16 |
Johann Ludwig (Louis) Kammerecker (1769 - 1793), Arzt. Cousin der Albumhalterin (Quelle: GEDBAS)
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Blatt 17 |
Johann Albrecht Nikolaus Kammerecker (1772 - 1841), Cousin der Albumhalterin. (Quelle: GEDBAS)
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Blatt 18 |
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Blatt 19 |
Johanna Friederike Sabine Kammerecker (1776 - 1798), Cousine der Albumhalterin (Quelle: GEDBAS)
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Blatt 20 (Vorderseite) |
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Blatt 20 (Rückseite) |
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Blatt 21 |
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Blatt 22 |
Leider ist mir eine Aufschlüsselung der Initialen "M.M." Heydenreich derzeit nicht möglich, denn die gefundenen Lebensdaten ihres Vaters M. Johann Bernhard Heydenreich sind unvollkommen und nur in Hinsicht seiner Arbeit ausführlich.
Einträge der Mutter oder etwaiger Geschwistern finden sich nicht.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit deuten die Einträge der Cousins und Cousinen darauf hin, dass sich die Albumhalterin in ähnlichem Alter befindet als sie das Stammbuch erhält (oder fertigt), ihr Geburtsdatum wird um das Jahr 1770 liegen.
Ich beabsichtige die Ergebnisse weiterer Nachforschungen jeweils auf den Seiten der Alben einzufügen, denn es gibt noch so viele Geheimnisse zu lüften!
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