Auch wenn es auf diesen Seiten in den vergangenen Monaten eher gemächlich zugegangen ist, wurde die Nähnadel weitherhin geschwungen und der Bestand an Kleidungsstücken und Alltagsgegenständen nach Vorbildern der 1790er Jahre wuchs beständig.
Das Sammeln von schriftlichen Quellen und das Erstellen eines Beitrags erfordern viel Zeit und vor allem Muße, da es mir an beidem in letzter Zeit ein wenig mangelte und mein Fokus eher auf dem Gestalten lag, versuche ich nun nach und nach die Versäumnisse aufzuholen.
Schon seit langer Zeit schwebte mir ein schlichtes Tageskleid in gedeckten Tönen vor. Nachdem ich einen Caraco en Fourreau und en Chemise der frühen 1790er gefertigt hatte, schwebte mir ein Chemisenkleid um 1794/95 vor, wie es zu jener Zeit in Leipzig und Weimar in Mode war.
Im Gegensatz zum enganliegenden Körper der Fourreaukleider der 1790er Jahre, ist das Chemisenkleid vorne in kleine Fältchen gelegt und mit zwei (Kragen und Taille) oder manchmal auch weiteren Coulissen versehen, die mittels Bändern für die Passform sorgen.
Im Leipziger Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode tauchen sie vermehrt gegen Ende der 1793er und in den 1794er Jahren auf und wissen sich alsbald großer Beliebtheit.
1794, September Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Tab.IV (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg https://doi.org/10.11588/diglit.44792) |
1794, September Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode, Tab.IV (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg https://doi.org/10.11588/diglit.44792) |
Transkription (markierter Text):
[...] Die Kleider von beliebiger Farbe, sind eben, um des Busens willen, locker und faltig, schließen aber in der Taille dicht an den Leib an, und wallen sodann lang und faltig auf den Boden hinab. Ein schwarzer oder farbiger Gürtel, mit einer Stahlagraffe geziert, oder in eine große Schleife gezogen, umgibt den Leib; die Brust wird etwas bloß getragen.[...]
Auf dem beliegenden Kupfer macht uns der Verfasser des Journals gleich mit mehreren Farben, verschiedenen Ärmellängen, dem etwas freieren Busen und dem hochgeschlossenen Kragen (voller Gorge), mit und ohne Kragenzier vertraut.
Im Weimarer Journal des Luxus und der Moden tauchen die Chemisenkleider vermehrt im Jahr 1795 auf, dort dann auch mit tiefer und moderner hoher englischer Taille.
1795, September, Journal des Luxus und der Moden, Tafel 26 und Tafel 27, Friedrich Justin Bertuch (Quelle: Uni Thulb Jena https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00514253) |
1795, September, Journal des Luxusu und der Moden, Modenneuigkeiten, Friedrich Justin Bertuch (Quelle: Uni Thulb Jena https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00093128) |
Transkription (markierter Text):
[...]Die erste junge Dame (Taf.26.)...eine Chemise mit voller Gorge, von Englischen rosa Mousseline...Meine andere Dame (Taf.27.)...Sie trägt ferner eine Chemise von dunkelgrünem Berliner Flor, mit hoher Engl. Taille[...]
Schon im folgenden Monat finden wir ein weiteres Modell des modischen Chemisenkleides.
1795, Oktober, Journal des Luxus und der Moden, Tafel 29 (Ausschnitt Modell 2), Friedrich Justin Bertuch (Quelle: Uni Thulb Jena https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00514609 ) |
Diesmal nicht aus Linon oder Flor, sondern aus Pecking (Pequin), mit langen Ärmeln und voller Gorge.
1795, Oktober, Journal des Luxus und der Moden, Modenneuigkeiten, Friedrich Justin Bertuch (Quelle: Uni Thulb Jena https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00093168 ) |
Transkription (markierter Text):
[...]Fig.2. Eine junge Dame in einer Chemise mit langen Aermeln von Gris de lin Pecking, mit einer Schürze von breitem rosa Atlas Bande, vorne unter der Brust in eine große Schleife gebunden, um den Hals ein Flor-Tuch, welches in die Chemise gesteckt ist[...]
Nicht nur in den Journalen findet sich dieser Stil des Chemisenkleides, sondern auch in verschiedenen Portraits aus der Mitte der 1790er Jahre sehen wir diese eher hochgeschlossene Mode. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und der Schweiz.
ca.1795 Louis Lin Perin-Salbreux (1753-1817), Lady in Green Gown, Miniatur (Quelle: Boris Wilnitsky Fine Art http://www.wilnitsky.com/cgi-bin/gallery.cgi/details?No=42889) |
ca.1790/95 Mme. Colladon, née Martin (Quelle: Neil Jeffares, Dictionary of pastellists before 1800, Swiss School http://www.pastellists.com/Articles/Swiss.pdf ) |
Ich entschied mich in meiner Ausführung des Chemisenkleides für eine dunkle Farbe, mit langen Ärmeln, tiefer Taille und hohem Kragen.
Das Rockteil wird in diesem Fall angesetzt und aus mehreren Stoffbahnen genäht, sodass es annährend vier Meter Saumumfang hat.
Dem schlichten Schwarz, das in den 1790er bereits nicht mehr unbedingt auf Trauer hinwies, sondern auch für Morgenkleider oder auch Tageskleider Verwendung fand, wollte ich einen kleinen Akzent hinzusetzen. Eine Zackenborte (allerdings anachronistisch aus einem späteren Jahrhundert), sollte den Rocksaum und die Ärmel zieren.
Nachdem der Rocksaum und die Ärmel ihre Zier erhalten, und Rock und Körper Hochzeit gehalten haben, war das Chemisenkleid ohne weitere Auszierung fertig.
Ich trage es mit einem schwarzen Taftgürtel und einer Stahlschnalle.
Zum Putz gehört ein weißes Linon Fichu, ein Bandeau zu grauer Perücke. Die Bilder entstanden im Musäushaus am Kegelplatz in Weimar und beherbergen heute die Albert Schweitzer Gedenkstätte.
Unter dem Chemisenkleid verbirgt sich selbstverständlich ein Cul de Paris.
Die Begeisterung der Damen um 1794/95 konnte ich sehr schnell nachvollziehen, denn das Chemisenkleid lässt sich wunderbar tragen und ist für den Alltag wie geschaffen. Es ist schlicht, aber zugleich ist man vortrefflich für den Vormittag gekleidet. Wie im folgenden Bild im wunderschönen Garten des Kirms Krackow Hauses in Weimar.
Fotocopyright Kerstin Klotsche von FlyingDreams |
Aber wir frönten in Weimar in diesem Frühsommer nicht nur dem süßen Nichtstun, sondern wir haben auch die Ausstellung im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek (HAAB) besucht. Dort huldigte man dem Gründer des Journals des Luxus und der Moden Friedrich Justin Bertuch mit einer Ausstellung im Rahmen des Themenjahres Wohnen 2023.
Mir fiel die große Ehre zu, einige meiner Nacharbeitungen für die Ausstellung zur Verfügung stellen zu dürfen.
Unter Friedrich Justin Bertuchs strengem Blick wurden meine Arbeiten in zwei Virtinen präsentiert.
Ausgestellt waren der Frankfurter Huth von 1796 mitsamt Huth-Schachtel...
...sowie ein Reticule von Nacarat von 1800 und Flitterschuhe von 1794.
Fotocopyright: Klassik Stiftung Weimar |
Fotocopyright: Klassik Stiftung Weimar |
Aber nicht nur meine drei Nacharbeitungen bereicherten die Ausstellung, sondern auch einige Highlights unserer Modenschau von 2022 im Bertuchhaus, dem heutigen Stadtmuseum.
Die Ausstellung ist auch im Internet abrufbar:
Mein besonderer Dank an Veronika Spinner von der Klassik Stiftung, welche die Ausstellung kuratiert und uns eine Führung durch selbige gegeben hat.
Und merci beaucoup an Alessandra Reeves vom Pavillon de La Paix, durch deren Einsatz nicht nur die wunderbare Modenschau 2022 realisiert werden konnte, sondern auch die Möglichkeit ein kleiner Teil der diesjährigen Ausstellung zum Thema Wohnen2023 zu werden.
Fotocopyright: Klassik Stiftung Weimar |
Am schönsten genießt man natürlich in geselliger Runde mit weiteren fabelhaften Frauenzimmern, die ich Freundinnen nennen darf.
Von links nach rechts: Alessandra Reeves - Pavillon de la Paix, Gabriela Gehrig, Sabine Schierhoff - Kleidungum1800, Kerstin Klotsche - Flyingdreams, Tanja GrebeIch hoffe, ich konnte mit diesem Blogbeitrag noch einmal für etwas Kurzweil in den letzten Tagen des Jahres sorgen.
Meinen Leserinnen und Lesern wünsche ich glückliche Feiertage und einen guten Start in das neue Jahr 2024!